Ian McEwan: Kindeswohl
Ian McEwan verknüpft gerne mal das Leben von erfolgreich im Beruf stehenden Menschen mit Themen, die weit über den privaten Horizont dieser Menschen hinausgehen. Bisher waren das die Romane „Solar“, in dem ein Physiker die Hauptperson ist, und „Saturday“, in dem wir einen Neurochirurgen einen Tag lang beim Nachdenken über die Sinnhaftigkeit des Irakkrieges begleiten dürfen.
Mit Fiona Maye ist es diesmal eine Familienrichterin am High Court in London. Gerade hat sie von ihrem Mann Jack erfahren, dass der gerne eine Liaison mit der bedeutend jüngeren Melanie ausleben möchte, ehe es für den Endfünfziger dafür definitiv zu spät sei. Fiona ist empört und gekränkt, wirft Jack aus der Wohnung und lässt am Tag darauf die Schlösser austauschen. Gleichzeitig muss sie am Gericht über die Bluttransfusion bei einem 17jährigen Jungen entscheiden, dessen Eltern Zeugen Jehovas sind und den rigiden Leben ihres Glaubens folgen möchten, selbst wenn dabei ihr einziger Sohn stirbt.
Es gelingt dem nüchternen Atheisten McEwan, die Wahnhaftigkeit des Glaubens in nüchterne Worten zu packen, sie mit Hilfe der (in diesem Fall wunderschönen) Prosa der Justiz zu zerlegen und ihre Gefahr für das Individuum herauszuarbeiten. Einziges Manko: Der Roman umfasst nur 220 Seiten – zu wenig, um dem Privatleben des Ehepaares die nötige Aufmerksamkeit zu geben. (jw)