„Ich bin nicht sentimental“ – Anna Ternheim privat
Das Leben von Anna Ternheim ist voller Zwischenstationen und Provisorien. Doch die schwedische Songwriterin weiß das inzwischen ganz gut zu nehmen.
„Kleinigkeiten geben meinem Leben Stabilität“, sagt Anna Ternheim, die seit elf Jahren etwa die Hälfte ihrer Zeit in Stockholm und im New Yorker East Village verbringt. In beiden Wohnungen hat sie die exakt gleiche Filterkaffeemaschine. „Aber was Menschen angeht, stand das Flüchtige häufig über dem Beständigen.“ Die 41-jährige Schwedin ist eine sehr reflektierte Frau, und die Gedanken, die sie sich über ihr Leben macht, fließen oft ohne Filter in ihre Lieder.
Auf „Lost Times“ zum Beispiel horcht sie sich quasi künstlerisch ab. „Ich schaue beim Schreiben regelmäßig, ob ich der Mensch bin, der ich sein will. Ob ich noch hinter getroffenen Entscheidungen stehe oder ob ich nur zu träge bin, sie zu revidieren.“ Momentan fühle sie sich wohl, ja, sie sei geradezu glücklich. „Früher hatte ich große Ängste vor dem Versagen“, so Ternheim, die mit ihrem 2004 veröffentlichten Debütalbum „Somebody outside“ zunächst in Schweden, wenige Jahre später auch bei uns Erfolg und Anerkennung fand. „Mit den Jahren habe ich festgestellt, dass die Selbstzweifel geringer werden und jetzt fast verschwunden sind.“
Eine Auszeit in Südamerika vor einigen Jahren, aus der das 2017 erschienene Album „All the Way to Rio“ erwachsen, habe ihr gutgetan, und ansonsten helfe auf dem Weg zur Selbstvergewisserung auch schlicht das Älterwerden. „Wenn du erstmal fühlst, dass das Leben nicht endlos ist, akzeptierst du eher, wer du bist und was du tust.“
Verpasste und neue Chancen
Doch das Dasein zu durchdringen, ist nun einmal eine Lebensaufgabe. Anna Ternheim stellt sich ihr auf „A Space for lost Time“ mit vorwiegend ruhigen, eher zurückhaltend instrumentierten und melancholischen Liedern, nur bei wenigen Ausnahmen wie „Every Time we fall“ und „Walk your own Way“ geht es auch mal etwas temporeicher zu. Aufgenommen in Los Angeles mit Tom Monahan und in Stockholm mit Andreas Dahlbeck singt sie häufig übers Hadern und Zaudern, letztlich aber auch darüber, das Leben so anzunehmen, wie es ist. „Rückblickend hätte ich manchmal mutiger sein können, gerade in der Liebe“, sagt Anna. „Ich habe Chancen verpasst, wir alle haben das. Doch es ist auch nie zu spät für neue Chancen.“
In „You belong with me“ fantasiert sie sich die Liebe förmlich herbei, während „This is the One“ davon handelt, nach Jahren eine Person wiederzutreffen, mit der man eine freundschaftliche oder auch intimere Beziehung gehabt hat. „Plötzlich hat man den Eindruck, man steht vor jemand komplett Fremdem. Das Auseinanderdriften gehört zum Leben, ich bin in der Hinsicht nicht sonderlich sentimental.“
Anna Ternheim und ihre „Gruppe von Umhertreibenden“
Ternheim gibt zu, dass es meist sie selbst war, die Brücken zu anderen Menschen hochgezogen oder gar abgerissen hat. Einige ihrer Stockholmer Freunde nehmen es ihr beispielsweise bis heute krumm, dass sie damals nach New York gegangen ist. Dort hat sich Anna Ternheim, die gern das sogenannte „Nordic Noir“-Etikett aufgepappt bekommt, selbst aber eher auf „Game of Thrones“ und die Filme von Stanley Kubrick steht, nach Jahren endlich etwas aufgebaut, das einem Freundeskreis nahekommt.
„Manhattan ist voller Menschen, die auf Zwischenstation sind. Verbindliche Beziehungen sind besonders schwer zu knüpfen, viele New Yorker sind vom Alltag auch einfach zu erschöpft, um sich eng an andere Menschen zu binden. Doch seit einiger Zeit habe ich eine Art Ersatzfamilie gefunden. Wir sind eine Gruppe von Umhertreibenden, die jedes Jahr zusammen Weihnachten feiert.“