Idil Baydar: „Zurückschrecken gilt nicht“
Idil Baydar ist mit neuem Programm auf Tour. „Ghettolektuell“ heißt es und mutet uns zu Recht wieder die Bühnenfigur der Jilet Ayse zu.
Noch immer spielt Idil Baydar am Deutschen Schauspielhaus Hamburg in Falk Richters Inszenierung des neuen Elfriede-Jelinek-Stücks „Am Königsweg“. Zwar musste die Comedienne deshalb etliche Soloauftritte absagen, ein neues Programm schrieb Baydar in der Zwischenzeit dennoch. „Ghettolektuell“ heißt es und ist nach „Deutschland, wir müssen reden“ das zweite abendfüllende Soloprogramm der Tochter einer alleinerziehenden türkischstämmigen Mutter aus Celle. Baydar, die nebenbei auch noch Vorträge für Nachwuchskräfte zum Thema Selbstverwirklichung, Bildung und Motivation hält, erweckt erneut die Figur Jilet Ayse zum Leben, eine Deutschtürkin, die sich von ihrem Mann unterdrücken lässt und auf die Integrationsnutten schimpft, die auf den Integrationsstrich gehen, um den Deutschen zu gefallen. Comedy? Nur dem Schein nach. Baydar – ehemalige Waldorfschülerin und Abiturientin und bestens integriert – sieht sich durch die Deutschen noch immer mit diesen Klischees konfrontiert. Und spielt sie deshalb auf der Bühne unermüdlich zurück. Das ist politisch, das ist Kabarett.
kulturnews führte mit Idil Nuna Baydar anlässlich der Premiere ein Interview:
Zurückschrecken gilt nicht
Die deutsche Komikerin Idil Baydar wurde an der Waldorfschule zur Rampensau. Fremdenfeindlichkeit aber gab ihr erst so richtig den Kick.
Interview: Jürgen Wittner
Frau Baydar, Ihre Eltern sind in den frühen 1970ern aus der Türkei nach Deutschland gekommen. Sie sind in Celle geboren, dort zur Waldorfschule gegangen. Können Sie noch Ihren Namen tanzen?
Idil Nuna Baydar: Ja. Ich tanze Ihnen auch das Grundgesetz, wenn es notwendig ist. (lacht)
Was ist aus dieser Zeit bei Ihnen hängen geblieben?
Baydar: Sehr, sehr viel. Ich bin sehr froh, dass meine Mutter für mich diese Schulform gewählt hat. Die Waldorfschule legt ja immer auch einen künstlerischen Grundstein. Bis heute profitiere ich davon. Oder dass wir Sprachübungen hatten, Auftritte und Präsentationen. Das gab uns die Fähigkeit, nicht zurückzuschrecken und ohne Angst zu kommunizieren, weil wir trainiert waren. Auch die Bildung war damals, als ich zur Schule ging, auf einem sehr hohen Niveau. Man gibt Ihnen auf der Waldorfschule ja eine sehr hohe Bildung und verkauft sie gleichzeitig als sehr leicht.
Im ZDF-Video „Germania“ auf Youtube erzählen Sie, wie Deutsche Ihnen den Platz in der Gesellschaft zugewiesen haben: als Türkin. Ist es halbwegs eine Kompensation, dass Sie mit der Bühnenfigur der Jilet Ayse Geld verdienen?
Baydar: Absolut. Da haben Sie auch schon ausgesprochen, was der Kern der Heilung ist: Dass ich mit dieser Figur meinen Lebensunterhalt bestreiten kann und darüber hinaus Achtung und Schätzung erfahre. Vorher war ich die Türkin ohne Achtung und Schätzung, jetzt bin ich die Türkin mit. (lachend) Es hat sich also verbessert!
Sie lachen jetzt, aber im Video sprechen Sie aber über Ihre Wut – und darüber, dass Ihre Mutter diese Wut nicht so recht verstehen vermag.
Baydar: Meine Mutter ist ja tatsächlich migriert. Das bin ich nicht. Meine Mutter versteht das nicht. Sie sagt: Ich bin wie ein Vogel mit gebrochenen Flügeln gekommen, und Deutschland hat mir alles an Möglichkeiten geboten, zu heilen und mich zu entwickeln. Da ich aber nicht in ein anderes Land gegangen bin, bin ich auch nicht dankbar für alles Positive, das ich erfahren habe. Ich bin hier geboren, merke aber, dass ich nicht unter dem gleichen Recht lebe wie alle anderen. Trotzdem wird mir erzählt, dass wir Chancengleichheit haben. Wenn man jemandem sagt: Hörense zu, Sie sind hier Bürger dritter Klasse!, dann arrangiert man sich damit und macht sein eigenes Leben auf Basis dieser Information. Ich musste schmerzlich feststellen: Je älter ich werde, desto mehr werde ich migrantisiert, und ich merke auch, wie ohnmächtig ich bin. Ich habe keine Deutungshoheit über meine Identität, denn das sind Zuschreibungen, die von anderen kommen. Diese Zuschreibungen bilden aber die Grundlage für meinen Stand in der Gesellschaft.
Sie haben es trotz aller Widrigkeiten geschafft und wurden eine bekannte Bühnenkünstlerin.
Baydar: Da kommen mehrere Komponenten zusammen. Ich bin ja ein Scheidungskind, und Scheidungskinder haben mit dem Problem zu kämpfen, dass sie sich nicht gesehen fühlen. Von daher gibt es also auch einen Drive. Dann sind verschiedene persönliche, emotionale Probleme projiziert auf die Themen Ausgrenzung und Ablehnung. Freud hat mal gesagt, im besten Falle sublimiert man seine Traumata zu einer gesellschaftlichen Leistung. Im Prinzip ist es genau das, ich sublimiere meine Prädispositionen und mache daraus eine Kulturleistung. Der Vorteil ist, dass ich dem bewusst zugucken und es einordnen kann.
Das hat Sie weit gebracht: bis auf die Bühne des Deutschen Schauspielhauses.
Baydar: (mit heiserer, kippender Stimme) Jaaaa!
Und bis zum Theatertreffen. Und zwar in Falk Richters Jelinek-Inszenierung „Am Königsweg“. Die Fachzeitschrift Theater heute feiert Sie hymnisch, die Dialektik der Jilet Ayse funktioniere auch im Jelinek-Rahmen hervorragend.
Baydar: Darüber freue ich mich wirklich, denn es verheißt auch, dass es immer noch eine starke, universell gesinnte gesellschaftliche Fraktion gibt. Sonst würde ich ja gar nicht existieren können. Ich nähre mich aus diesem Milieu und versuche auch, da meine ganze Kraft reinzugeben.