„In Waves“ von Jamie xx: Die perfekte Welle
Soundmagier und Wassersportler Jamie xx kann auch laut sein. Zumindest musikalisch.
Jamie Smith, beruflich unter dem Namen Jamie xx firmierend, hat ein für ihn immer noch relativ junges Hobby: Er geht sehr gern Surfen. „Ich komme auf dem Wasser zur Ruhe“, sagt Jamie. „Denn seien wir mal ehrlich, die meiste Zeit passiert beim Surfen nicht viel. Du verbringst Ewigkeiten damit, auf deinem Brett zu liegen, ein bisschen zu paddeln und auf die nächste Welle zu warten. Aber wenn du sie dann erwischt, dann durchschießt dich ein überwältigendes Hochgefühl.“
Dass Jamie xx, der Ende Oktober 36 wird, sein zweites Soloalbum nun ausgerechnet „In Waves“ betitelt hat, mag auch mit seiner Wellenreiterleidenschaft zusammenhängen. Mehr noch aber hat der Titel der Platte, die ihrerseits satte neun Jahre nach dem vollumfänglich gepriesenen Debüt „In Colour“ rauskommt, mit den Höhen und Tiefen von Schallwellen zu tun. Sowie, das ganz besonders, mit den Aufs und Abs des Lebens an und für sich. Er habe sich nämlich, als er vor etwa fünf Jahren mit der Arbeit an „In Waves“ anfing, nicht gut gefühlt, bekennt Jamie. Er steckte fest, beruflich und privat.
Es folgten die Trennung von der Freundin und das Verwerfen eines ersten Albumentwurfs, den er selbst als für zu langweilig und zu sehr auf Nummer Sicher gehend befunden habe. „Ich fühlte mich seinerzeit ausgelaugt, denn mein Leben verlief so rasant zwischen 18 und 30, dass ich nur schwer Schritt halten konnte. Die meisten Dinge aus der Zeit habe ich schlicht vergessen.“ Noch als Teenager hat der Londoner zusammen mit seinen Kindheitsfreund*innen Romy Madley Croft und Oliver Sim das Trio The xx gegründet, zwischen 2009 und 2017 haben sie drei irre intensive und zutiefst betörende Indie-Pop-Alben veröffentlicht (und arbeiten aktuell am vierten), aber nach Fertigstellung von und Tour mit dem dritten Werk „I see you“ war Jamie einfach durch.
Für Regeneration hat dann ausgerechnet die Coronapandemie ab Frühjahr 2020 gesorgt. Smith kam zur Ruhe, er hörte und machte so viel Musik wie lange nicht mehr, und er verlustierte sich emsig bei nicht besonders legalen Raves auf Hausbooten im Regent’s Canal in Hackney. Plötzlich war das Rave-liebende Kid im Körper des Anfangdreißigers wieder sehr präsent, und Jamie xx hat zwölf der knackigsten, euphorischsten, clubtauglichsten und kolossal kompromisslos auf Tanztauglichkeit gedrilltesten House-, Disco- und Technostücke seines Lebens geschrieben.
Von der The-xx-Sanftheit ist hier nichts zu spüren, lieber sampelt er coole Klassiker wie Almeta Lattimores 1975er Soulsong „Oh my Love“ und holt sich Gäste wie Robyn (im flackernden „Life“), Kelsey Lu, John Glacier und Panda Bear („Daffodil“) sowie seine alten Heroen The Avalanches („All you Children“) ins Studio. Auch Romy und Oliver sind dabei, „Waited all Night“ heißt das gemeinsame Stück, das vor Energie fast platzt und in Los Angeles entstanden ist. „Jamie mag gewiss nicht die lauteste Person im Raum sein“, sagt Oliver Sim über seinen immer noch recht schüchternen Kollegen und besten Freund, „aber er kommuniziert mit seiner Musik. So bringt er die Menschen zusammen.“