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In Zeiten des abnehmenden Lichts

Die Bestsellerverfilmung „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ schaut kurz vor der Wende einer Ost-Berliner Familie beim Zerfall zu: Zum 90. Geburtstag des Patriarchen kommen alle vorbei – nur nicht der Enkel, der hat in den Westen rübergemacht …

Zu Opis 90. Geburtstag müssen alle mit, das ist auch bei Familie Powileit so. Nur einer tritt nicht zum Defilee an: Enkel Sascha (Alexander Fehling) hat gerade in den Westen rübergemacht, seine Frau und seinen Sohn zurückgelassen. Saschas Vater Kurt (Sylvester Groth) hatte noch versucht, Sascha davon abzuhalten, Studium und Doktorarbeit abzubrechen, doch vergeblich. Am Morgen des Geburtstags seines Vaters Wilhelm (Bruno Ganz) ruft Sascha aus dem Westen an. Kurts russische Ehefrau Irina (Evgenia Dodina) greift daraufhin zur Wodkaflasche und verzieht sich ins Schlafzimmer. Und während Kurt sich alleine aufmacht zur Feier, baut Wilhelm gegen den dringenden Rat seiner Frau Charlotte (Hildegard Schmahl) den Tisch fürs Büffet selber auf, nimmt die ersten Gratulationen entgegen und kommentiert jeden Blumenstrauß mit einem garstigen „Bring das Gemüse zum Friedhof!“ …

Wir befinden uns im Spätherbst 1989, die DDR liegt in den letzten Zügen, und zu den wenigen Bürgern, die das nicht wahrhaben wollen, gehört der Jubilar: Wilhelm Powileit, hochdekoriertes SED-Mitglied und linientreuer Sozialist. Ihn spielt Bruno Ganz als starrsinnigen Familientyrannen, der immer kurz vor einem Wutausbruch steht. So veranstaltet seine Familie einen Eiertanz, weil keiner derjenige sein will, der ihm sagt, dass Sascha Republikflucht begangen hat. Wilhelm verschläft derweil bei dem einen oder anderen kurzen Nickerchen die eine oder andere offizielle Delegation der Partei, und fragt immer wieder, wo denn Sascha bleibe. Seinem Urenkel, der mit Sachas Frau Melitta (Natalia Belitski) kommt, schenkt er spontan einen ausgestopften Leguan – unfreiwilliges Symbol für Wilhelm selber und den Zustand des kurz vor dem Zusammenbruch stehenden Arbeiter- und Bauernstaates. Derweil fließt der Wodka in Strömen …

Man ahnt früh, dass das hysterisch-dysfunktionale Hin und Her, das bei den Powileits als Familienleben durchgeht, einen düsteren Urgrund hat – bis der vollständig enthüllt wird, inszeniert Matti Geschonnek den Buchpreis-Gewinner von Eugen Ruge (Drehbuch: Wolfgang Kohlhaase, „Sommer vorm Balkon“) als Ensemble-Kammerspiel und absurde Tragikomödie. Ganz’ Patriarch ist dabei ein tragischer Herrscher ohne Land, wie Shakespeares König Lear. Den hat Ganz in seiner langen Karriere noch nicht gespielt – und nun auf gewisse Weise doch noch. rr

Ganz großartig: Bruno Ganz
Der 76-jährige Schweizer Bruno Ganz gilt als einer der bedeutendsten deutschsprachigen Schauspieler der Gegenwart – zu Recht. Ganz hat nicht nur an den besten Bühnen in Deutschland, Österreich und der Schweiz unter den wichtigsten Regisseuren gespielt. Er hat dasselbe auch im Kino getan: Ob mit Wenders, Schlöndorff oder Herzog, im Ausland mit Rohmer oder Coppola – mit Können und Charisma hat Ganz Filmklassikern wie „Der amerikanische Freund“, „Der Himmel über Berlin“ oder „Der Untergang“ seinen Stempel aufgedrückt. Im Jahr 2000 war er in der 21 Stunden und 12 110 Versen langen Uraufführung des kompletten „Faust“ von Goethe als Titelfigur zu sehen. Und dem Mann aus Zürich wurde eine besondere Ehre zuteil: Er ist Träger des Iffland-Rings – eines Fingerrings, auf dem August Wilhelm Iffland zu sehen ist, der 1782 in der Uraufführung von Schillers „Die Räuber“ den Franz Moor spielte. Der Ring wird seit ca. 1815 dem jeweils bedeutendsten und würdigsten Bühnenkünstler des deutschsprachigen Theaters auf Lebenszeit verliehen, dieser vererbt ihn dann weiter. Ganz‘ große Kunst! vs

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