Ingo Schulze: Peter Holtz – Sein Glückliches Leben Erzählt Von Ihm Selbst
„Geld ist doch nicht wichtig! Solang ich ein Kind bin, muss unsere Gesellschaft für mich sorgen, egal, ob im Kinderheim oder auf einer Reise an die Ostsee.“ Der 12-jährige Peter Holtz ist aus dem DDR-Kinderheim Käthe-Kollwitz in Gradau an der Elbe abgehauen und auf dem Weg an die Ostsee. Es ist Juli 1974, und Peter hat soeben ein Eisbein mit Kartoffeln, Sauerkraut und Senf gegessen. Jetzt kann er nicht zahlen. Ingo Schulze besorgt dem Helden seines neuen Romans einen fulminanten Start, Peters Namedropping schon auf den ersten der knapp 600 Seiten reicht von Ernst Thälmann über Rosa Luxemburg bis hin zu Lenin, ein paar Jahre später wird er sich als informeller Mitarbeiter der Stasi selbst den Decknamen Pawel Kortschagin geben – googeln Sie den Namen mal!
Kurz: Peter ist ein überzeugter Kommunist. So überzeugt, dass die Stasi ihn schon bald nicht mehr haben will. So überzeugt, wie er später auch noch engagierter Christ wird, die Ost-CDU mit aufbaut und, nach der Wende, als Erwachsener mit Immobilien unendlich reich wird, obwohl er das gar nicht will. Ingo Schulzes neues Werk ist ein Schelmenroman angelegt, stilistisch wie inhaltlich. Die Naivität und Sorglosigkeit des Helden, sein Glück im Leben, für das er kaum etwas tut, vor allem aber unser Blick durch die naiven Augen Peters auf die DDR-Welt vor der Maueröffnung und auf die kapitalistische Welt danach zeigen uns Sozialismus wie Kapitalismus aus einem völlig neuen Blickwinkel: dem des absolut Überzeugten. Aus diesem Blickwinkel aber hält die Realität den Ansprüchen nie Stand und wird dadurch radikal in Frage gestellt. Der Roman lebt ausschließlich von Dialogen, was ihn sehr kurzweilig und leicht lesbar macht. Wie Schulze diese nur auf den ersten Blick einfache Form gelingt, ist die eigentliche Leistung des Autors, wie er unseren Blick auf die Wirklichkeit hinterfragt, keine mindere.