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Arne Semsrott: „Noch ist Höcke nicht an der Regierung!“

Arne Semsrott Machtübernahme Anleitung zum Widerstand AfD
Arne Semsrott ovn FragDenStaat im Interview zu den Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. Semsrott hat eine Anleitung zum Widerstand geschrieben, der sich gegen die AfD richtet. (Foto: Jörg Brüggemann / Ostkreuz)

Arne Semsrott von FragDenStaat hat ein Buch über Widerstand gegen Rechtsextremismus geschrieben. Aber was macht man, wenn nach den Wahlsonntagen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg die AfD regiert?

kulturnews führte angesichts der Landtagswahlen ein Interview mit Arne Semsrott. Der Journalist, Aktivist und Projektleiter von FragDenStaat warnt schon lange vor einem massiven Rechtsrutsch in Deutschland.

Herr Semsrott, vor knapp drei Monaten ist Ihr Buch „Machtübernahme „Was passiert, wenn Rechtsextremisten regieren“ erschienen. Ihre „Anleitung zum Widerstand“ war – Stand heute, kurz vor den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg – schrecklich zukunftsweisend. Immerhin scheint gesichert, dass die AfD in Thüringen gewinnen wird. Gibt es angesichts dieser Tatsache eine Erweiterung ihrer Handlungsempfehlungen?

Arne Semsrott: Es bleibt dabei: Selbst wenn es zu spät ist, ist es nicht zu spät. Widerstand ist immer möglich. Natürlich wird er mit der Zeit schwerer, aber er ist notwendig. Das Wichtigste jetzt: sich vorbereiten und vernetzen und endlich handeln – es braucht ein Demokratiefördergesetz und ein AfD-Verbotsverfahren.

Für Thüringen hat Björn Höcke erst vor wenigen Tagen fünf Punkte benannt, in denen er das Bundesland komplett umkrempeln will: Er will den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zerstören, den Klimaschutz beenden, den Verfassungsschutz in Thüringen komplett neu ausrichten, Fördermittel für den Kampf gegen Rechtsextremismus und für die Demokratie streichen sowie die Flüchtlingspolitik des Bundes bekämpfen. Das sind Angriffe auf breiter Front. Müssen wir jetzt sofort Ihr ganzes Buch umsetzen, damit Höcke damit nicht durchkommt?

Semsrott: Noch ist Höcke ja nicht an der Regierung. Und es gibt keinen Automatismus, durch den er an die Macht käme. Wenn er konsequent ausgegrenzt wird, kann er sein Programm nicht umsetzen. Aber es gibt eine große Gefahr, dass die Brandmauer fällt – oder seine Forderungen von Parteien wie der CDU übernommen werden.

Was ist Ihrer Meinung nach wichtiger: Haltung und Widerstand zeigen im Privaten, im Beruf oder auf institutioneller Ebene wie Rechtsprechung, Politik oder Ehrenamt?

Semsrott: Alle Menschen sind in der Verantwortung, in ihrem Wirkungskreis tätig zu werden: Das ist das Private, die Nachbarschaft, aber auch der Arbeitsplatz.

Aber genau dagegen geht die AfD vor: Sie sprechen in Ihrem Buch von einem Diskurs der Entsolidarisierung, den diese Partei offensiv betreibt. Sie sprechen auch von einem Visionsmodell der AfD, das dem der bürgerlichen Parteien überlegen sei. Und was machen die Parteien? Sie versuchen AfD-Stimmen zurückzuholen und legitimieren damit deren Politik. Fordern Sie mehr Selbstbewusstsein auch von Seiten dieser Parteien? Und wie soll das strategisch oder doch zumindest taktisch zum Ausdruck kommen?

Semsrott: Ja, auf jeden Fall. Wir dürfen nicht nur gegen Demokratiefeinde kämpfen, sondern müssen für mehr Demokratie kämpfen. Das bedeutet, nicht mehr auf jede Regung der AfD zu reagieren, sondern eigene Themen zu setzen, die sich an der Würde der Menschen orientieren – in der Sozialpolitik, bei Themen wie Gesundheit und Wohnen. Strategisches Ignorieren ist sinnvoll.

FragDenStaat, die von Ihnen mitgegründete Anlaufstelle für Informationsfreiheit, hat seit einem Jahr weitere Angebote im Portfolio: Auf der Webseite bieten Sie einen „Gegenrechtsschutz“ an, der Aktivistinnen und Aktivisten bis hin zur anwaltlichen Vertretung unterstützt, wenn sie Abmahnungen von Rechts erhalten oder rechtswidrige Maßnahmen aus Politik oder Verwaltung erfahren. Was war der konkrete Grund für die Einrichtung dieses Angebots und in welchen Situationen wurde er bis jetzt in Anspruch genommen?

Semsrott: Wir hatten zahlreich die Rückmeldung aus zivilgesellschaftlichen Initiativen erhalten, dass es ein solches Projekt braucht. Insbesondere auf kommunaler und Landesebene sind die Initiativen schon jetzt bedroht – sei es durch Fördermittelentzug, Gemeinnützigkeitsprüfungen oder Abmahnungen. Es ist wichtig, ihnen Rückhalt zu zeigen – denn Demokratie wird eben dort organisiert. Das geht nur zusammen.

Haben Sie den Eindruck, dass der GegenRechtsSchutz die Angst und Hemmschwelle bei Menschen senkt, die gerne zivilgesellschaftlich aktiv werden möchten, sich aber nicht trauen? Hat dieses Angebot neben dem echt juristischen Schutz auch einen psychologischen Effekt? Dahingehend, dass der Mut unterstützt wird?

Semsrott: Ja – es geht darum, Rückhalt zu zeigen, damit Menschen mehr Mut haben, in schwierige Auseinandersetzungen zu gehen.

Wie kann man den Menschen sonst noch die Angst vor dem eigenen Engagement nehmen?

Semsrott: Vernetzen, vernetzen, vernetzen. Viele Menschen sind verzweifelt, viele haben Angst. Diese Verbindung kann Kraft schenken.

Das Vorbild in der Politik ist aber auch überhaupt kein gutes: Warum konnten sich die bürgerlichen Parteien bei den Bestrebungen, die Thüringer Landesverfassung zu ändern, nicht enigen? Dort kann der Ministerpräsident ohne Widerspruchsmöglichkeit durch das Parlament den Medienstaatsvertrag aufkündigen, womit die gesamte Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zusammenbricht. Dann wird der MDR ab 2026 abgeschaltet.

Semsrott: Der Ernst der Lage wurde nicht erkannt. Und es wird weiter gemacht, als sei alles normal. Das ist fatal.

In meinen Augen wäre ein geschlossenes Vorgehen hier viel besser, weil es schnell und effzient einem Worst Case im Detail vorbeugt. Ein Verbot der Partei wird viel schwerere Hürden nehmen müssen, und der Erfolg ist nicht sicher.

Semsrott: Die demokratischen Parteien müssen den Ernst der Lage erkennen und endlich an einem Strang ziehen – und effektive Maßnahmen zum Schutz der Demokratie beschließen. Dazu gehört auch ein Demokratiefördergesetz.

Das ewig im Entstehen begriffen und noch immer nicht in Kraft getreten ist. Neben der CDU übt auch die Koaltionspartei FDP Kritik am Gesetz. Was ist in Ihren Augen neben der ökonomischen Absicherung von demokratischen Initivativen wichtig an einem Demokratiefördergesetz?

Semsrott: Es geht um ein klares Signal an die Zivilgesellschaft, dass ihre Arbeit gewertschätzt wird. Es geht natürlich aber auch um Arbeitsplätze in den Initiativen, um Standortsicherung – ganz konkret: dafür zu sorgen, dass Engagierte aus dem ländlichen Raum nicht wegziehen – und um die Sicherung von Vielfalt.

Sie kritisieren in Ihrem Buch auch die Medien für ihre Berichterstattung: Zu viel schnelle und oberflächliche Berichterstattung, zu wenig Kontext, zu viel Übernahme von Politikeraussagen ohne Einordnung und Kritik, wo letzteres nötig wäre. Wie sehen Sie die Berichterstattung zum Messerattentat in Solingen, als dessen Konsequenz Geflüchtete jetzt viel schneller abgeschoben werden sollen?

Semsrott: Reine Symbolpolitik, Übernahme rechter Talking Points, keine Maßnahmen, die wirklich helfen. Ginge es der Ampel-Koalition darum, weitere Terroranschläge zu verhindern, würden wir über bessere Ausstattungen für Deradikalisierung reden, über Ausgrenzung statt Kooperation mit den Taliban, über andere Verhältnisse in Geflüchtetenheimen.

Zum Abschluss die Gretchenfrage: Welche Koalitionen wären nach den Landtagswahlen Ihrer Meinung nach stabil genug, um auf Dauer Bestand zu haben und die AfD außen vor zu lassen?

Semsrott: Das wird knifflig. Erstmal müssen wir durch instabile Zeiten durch.


Arne Semsrott mit einem Vortrag auf der re:publica 2024 in Berlin

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