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„Führer und Verführer“: Wie man die Lügen der AfD entlarvt, erzählt uns Regisseur Joachim A. Lang

Stephan Pick Führer und Verführer Joachim A. Lang
Der Film „Führer und Verführer“ des Regisseurs Joachim A. Lang kommt in die Kinos. (Foto: Stephan Pick)

Sein Film „Führer und Verführer“ widmet sich der Nazi-Progaganda von Joseph Goebbels. kulturnews sprach mit Regisseur Joachim A. Lang über die Lügen in der Propaganda gestern und heute.

Herr Lang, der Geheimplan der AfD zur Vertreibung von Millionen Menschen aus Deutschland brachte Hunderttausende Menschen gegen die rechtsradikale Partei auf die Straße. Und obwohl die Partei sich selbst zerlegt, feiert sie bedeutende Wahlerfolge. Wie sehen Sie die Entwicklung unserer Gesellschaft hin zu extremen Positionen und den Widerstand der Zivilgesellschaft?
Joachim A. Lang: In ganz Europa sind rechtsextreme Parteien auf dem Vormarsch, dieser Trend ist ungebrochen, auch in Deutschland, unabhängig von tagespolitischen Entwicklungen in der AfD. Populismus, Antisemitismus, der Ukraine-Krieg und der Krieg in Gaza bestimmen die Situation. Das alles ist eine Katastrophe, und die Demokratie muss mit allen Mitteln dagegen angehen. Die Geschichte des NS-Terrors zeigt, wie gefährdet eine Zivilgesellschaft ist und wie schnell der Übergang in eine Barbarei erfolgen kann. Für mich gilt der Satz des Auschwitz-Überlebenden Primo Levi, mit dem unser Film beginnt und endet: „Es ist geschehen und folglich kann es wieder geschehen. Das ist der Kern dessen, was wir zu sagen haben.“

Ihr Film „Führer und Verführer“ will die Mechanismen der Propaganda am Beispiel des Nationalsozialismus offenlegen, sich aber auch von diesem Beispiel lösen. Inwiefern kann man die Goebbels’sche Propaganda mit heutiger Propaganda vergleichen?
Lang: Goebbels hat die damals neusten Medien genutzt, um die Deutschen hinter Hitlers verbrecherische Ziele zu bringen. Freilich konnte er nur so erfolgreich sein, weil er auch die Mittel des Terrors in einer Diktatur zur Verfügung hatte. Seine Verfahren sind leider heute sehr aktuell. Nehmen wir als Beispiel die Sportpalastrede: Unser Film zeigt, wie Goebbels die Rede konzeptioniert, vor dem Spiegel probiert und sie danach wie ein Regisseur und Produzent bearbeitet. Das Ganze erscheint als multimediale Inszenierung: zunächst als Live-Auftritt im Sportpalast, dann zeitversetzt und bearbeitet im Radio, am nächsten Tag in den Zeitungen und am Schluss in der Wochenschau. Der Film entlarvt die inszenierten Dokumente des Dritten Reichs als Täuschung und lässt den Zuschauer grundsätzlich wachsamer gegenüber der Macht der Bilder und misstrauischer gegenüber Manipulationsstrategien werden. Wir schauen Goebbels bei der Inszenierung seiner Lügen über die Schulter. Es ist ein Film gegen Verführung.
Wer das am Beispiel des Dritten Reichs verstanden hat, wird hoffentlich auch misstrauischer gegenüber heutigen Demagogen sein. Man denkt beim Zuschauen immer mit: Wenn Goebbels es mit den damaligen Mitteln geschafft hat, um wie viel gefährlicher ist es heute, bei den Möglichkeiten von Social Media und der KI.

Joachim A. Lang: „An Goebbels ist alles inszeniert“

Sie bringen in ihrem Film eine Kombination von historischen Aufnahmen und gespielten Szenen. Fast immer aber haben Sie verbürgte Zitate in die Dialoge eingesetzt. Ist das einem möglichen Faktencheck geschuldet, oder hatten Sie noch andere Gründe für eine so genaue Vorgehensweise?
Lang: Ich hoffe, dass man mit Begriffen wie „Faktencheck“, die aus der trivialen Fernsehkritik stammen, meinem Vorgehen nicht gerecht wird. Mir geht es um nicht mehr und nicht weniger als um die Darstellung der Wirklichkeit. Ihr bin ich verpflichtet, das ist das Schwierigste überhaupt. Ich kann also erfundene Geschichten, die immer wieder über das Dritte Reich zu sehen sind und die dramaturgisch vielleicht ganz nett gewesen wären, nicht gebrauchen. Ich habe den Anspruch, in den entscheidenden Jahren des Dritten Reichs einen direkten Blick in die Führungszentrale zu werfen, der sich in Übereinstimmung mit den neusten wissenschaftlichen Erkenntnissen befindet. Dazu gehört, dass ich viele Zitate verwende, ich versuche so, möglichst nahe an die Wirklichkeit heranzukommen.

„Führer und Verführer“: Einbruch der Wirklichkeit

Gleichzeitig bin ich mir über die Wirkung von Filmen bewusst, Filme können täuschen, auch der eigene. Und gerade bei einem Film über Täuschung mit Bildern ist es ganz wesentlich, das zum Ausdruck zu bringen. Ich bezeichne dies als offene Form im Gegensatz zu einer geschlossenen Form, so brechen zum Beispiel die Zeitzeugen die geschlossene Filmhandlung, der Zuschauer wird aus der fiktionalen Handlung herausgerissen. Ich nenne das „Einbruch der Wirklichkeit in das fiktionale Geschehen“. Im Film will man ja oft das Gegenteil erreichen. Aber ich will dem Zuschauer zeigen, dass er etwas Gemachtem, etwas Geschaffenem gegenübersitzt, das er beurteilen kann. Auch mache ich jederzeit bewusst, was Fiktion und was historisches Filmdokument ist. Die Wochenschauen werden anders als in manchen Filmen nicht als Wirklichkeit, sondern als Inszenierung gezeigt. Dem Zuschauer ist jederzeit bewusst, was Fiktion und was historisches Dokument ist. Schon durch die Farbunterschiede, die ich bewusst belasse, wird dies ersichtlich. Die Nazis haben mit ihren Bildern die Zuschauer getäuscht, indem sie suggerierten, sie bilden Wirklichkeit ab.

Ein Film, der diese Verfahren entlarven will, darf sich nicht desselben Verfahrens bedienen. Dazu gehört, dass wir offenlegen, was ansonsten oft verschwiegen wird. Dem Zuschauer ist jederzeit klar, welche Bilder die wirklichen Nazis und welche unsere Schauspieler zeigen, schon durch die Farbgebung. Dieser bestehende Widerstreit wird nicht verschleiert, unser Film geht offen damit um. Dementsprechend imitieren die Schauspieler unseres Films nicht, sie interpretieren. Wir bilden keine Oberfläche ab, sondern versuchen das Wesen zu erfassen, es geht darum, mit diesen Mitteln möglichst nahe an die Wirklichkeit heranzukommen.

Führer und Verführer Joachim A. Lang Regisseur Interview
Der Film „Führer und Verführer“ läuft jetzt in den Kinos an. Foto: Foto: © 2023 © Zeitsprung, SWR, Wild Bunch, © Stephan Pick

Joseph Goebbels wird nicht nur in Bezug auf seine Methoden der Propaganda vorgestellt, sondern auch als Privatperson und im Beruf als äußerst ehrgeiziger Mensch psychologisch genau gezeichnet. Warum? Eigentlich möchte man einem solchen Menschen ja nicht unbedingt näher kommen. Warum verlangen sie das von Ihrem Publikum?
Lang: Wenn man im Film nur Personen darstellt, denen das Publikum näherkommen möchte, dann wäre die Filmgeschichte arm. Shakespeare hat seinen Zuschauern sogar Menschen wie Richard III. zugemutet und ihnen ein eigenes Drama gewidmet. Eine Befreiung des Films von der Darstellung unangenehmer Figuren entspricht nicht meiner Auffassung.

Goebbels: Homestorys als Propaganda

Aber in diesem Fall muss ich es dem Publikum sogar zumuten. Häufig ist es so, dass wenn Figuren wie Hitler und seine Entourage gezeigt werden, sie als Ikonen des Grauens erscheinen. Meist halten sich Filmemacher ohnehin zurück, Menschen wie Hitler, Goebbels, Stalin oder Mussolini ins Zentrum zu rücken. Das geschieht mit den besten Absichten, die durch die Kritik an dem Film „Der Untergang“ gestützt wird. Aber man erreicht damit das Gegenteil von dem, was man erreichen will, denn man geht einer der wichtigsten Fragen der Geschichte aus dem Weg. Wenn wir diese Verbrecher filmisch nur noch als eindimensionale Randfiguren oder gar als schreiende Witzfiguren darstellen, können wir sie und ihre Taten nicht verstehen. Wir lernen daraus nichts für die Gegenwart, dabei wäre es so wichtig, heutige Demagogen und deren Verführungsstrategien durchschaubar zu machen.

Die Gefahr besteht nicht in einer Vermenschlichung dieser Verbrecher, sondern in ihrer Dämonisierung. Es fällt leicht, sie als Dämonen von sich fernzuhalten. Diese Geschichtsauffassung – für mich ist sie reaktionär – resultiert aus der Nachkriegszeit, in der man versuchte, die Verbrechen des Dritten Reichs auf eine kleine diabolische, aber geniale Führungsclique zu reduzieren. Sie konnten aber ihre Verbrechen nur ausführen, weil sie Menschen waren und auch Züge hatten, die wir in uns allen erkennen. Nur wenn wir sie begreifen und zwar ihre ganze Person, können wir heutige Demagogen verstehen und ihnen die Maske vom Gesicht reißen. Wenn man das Private abschneidet, versteht man sie nicht. Zumal Goebbels als einer der Ersten sein Privatleben bewusst für die Propaganda genutzt hat: Es gab Homestorys der angeblich heilen Familie in der Wochenschau und in Illustrierten. Aber auch das war ein Fake, und das führe ich vor, ich versuche zu zeigen, wie es wirklich bei ihm zuhause aussah, und das ist nun mal privat: Es war eine Welt der Lüge und des Betrugs.

In Erkenntnis der Notwendigkeit, die führenden Nazis als Menschen – das betrifft die ganze Person – und nicht als Dämonen zu begreifen, befinde ich mich in Übereinstimmung mit einer Haltung, die sich von Thomas Mann bis zu Margot Friedländer hinzieht, die immer wieder sagt: „Menschen haben es getan.“ Nur wenn wir die Verhältnisse als von Menschen gemacht begreifen, können Menschen auch etwas dagegen tun. Und das ist dringend notwendig.

Interview: Jürgen Wittner

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