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Jan-Ole Gerster: „Habe ich als Erzähler eine andere Wahl?

Jan-Ole Gerster
Jan-Ole Gerster (Foto: Christian Werner)

Nach „Oh Boy“ und „Lara“ hat Jan-Ole Gerster seinen dritten Film „Islands“ gedreht. Wir sprachen mit dem preisgekrönten Regisseur.

Jan-Ole Gerster, ich muss erst einmal meine Enttäuschung ausdrücken. Darüber, dass „Islands“ nicht im Wettbewerb der Berlinale lief! Nichts gegen den deutschen Wettbewerbsfilm „Was Marielle weiß“ – aber Ihr Film hätte meiner Ansicht nach eine größere Plattform verdient. Wie sehen Sie das?

Jan-Ole Gerster: Das höre ich ehrlicherweise nicht zum ersten Mal, aber ich bin tatsächlich sehr glücklich über die Aufmerksamkeit, die mein Film auf der Berlinale bekommen hat. Zwei der größten amerikanischen Branchenblätter haben „Islands“ unter die zehn besten Filme der diesjährigen Berlinale gewählt, und darüber hinaus gab es viele schöne Kritiken. So gesehen war das schon ein sehr guter Startschuss für unseren Film. Natürlich hätten wir uns auch über eine Teilnahme im Wettbewerb gefreut, aber was nicht ist, kann ja noch werden. Vielleicht mit dem nächsten Film.

Die Hauptfigur Tom, die auf Fuerteventura als Tennislehrer gestrandet ist, hat viel gemeinsam mit den Protagonisten ihrer Filme „Oh Boy“ und „Lara“: Sie stecken fest in ihren Leben und machen sich dann doch auf den Weg zu einem anderen, vielleicht noch rechtzeitig. Sind das zeitlose Dilemma oder entstehen sie aus unserem modernen Leben?

Gerster: Ich versuche tatsächlich in all meinen Geschichten sowohl einen zeitlosen, universellen Aspekt und gleichzeitig einen Bezug zum Hier und Jetzt zu finden – so wie bei guten Theaterstücken, die immer und immer wieder aufgeführt und in Bezug auf unsere Gegenwart neu interpretiert werden können. Denken Sie zum Beispiel an Tschechow. Seine Figuren stecken auch fest, sehnen sich nach Veränderung und bleiben oft lediglich mit der Erkenntnis über die eigene ausweglose Situation zurück. Ich verehre seine Stücke – auch weil die Grenzen zwischen Komödie und Tragödie virtuos verschwimmen.

Islands
Szenenfoto aus „Islands“  | Foto: Leonine

„Islands“ enthält viele Elemente des Neo-Noir: Eine Frau flirtet mit einem geheimnisvollen Loner, dann verschwindet ihr Mann. Mir kam Billy Wilders Klassiker „Double Indemnity“ in den Sinn – nur, um dann zu merken, dass Sie mich auf Glatteis führen. Das Spiel mit den Konventionen und der Erwartungshaltung macht Ihnen offenbar Spaß.

Gerster: Ja, das stimmt. Aber habe ich als Erzähler eine andere Wahl? Ein Film der alle Konventionen und Erwartungen bedient, wäre ja schrecklich langweilig. Die Kunst der Dramaturgie ist es ja, seine Geschichte in gewisser Weise zwangsläufig und trotzdem unvorhersehbar und überraschend zu erzählen. Besonders Genres wie Thriller oder Neo-Noir sind auf gute Twists und starke Konflikte angewiesen – Konflikte zwischen, aber auch im Inneren der Figuren. Film Noir ist diesbezüglich ein faszinierendes Genre. Es hat sehr viel Spaß gemacht mit diesen Konventionen zu spielen.

Jan-Ole Gerster: Corona-Lockdown als Impuls

Tom flüchtet sich in Party-und Saufexzesse und wacht auch mal in der Wüste auf, wird dann doch immer wieder von seinem monotonen Leben eingefangen. Einem Kamel seines Freundes Rafik geht es im Grunde genauso, und sein Schicksal sollte eine Warnung für Tom sein. Eine grandiose Analogie, die mit einem der stärksten Kinobilder seit langem endet. Wie kamen Sie darauf?

Jan-Ole Gerster: Kurz nachdem mein letzter Film „Lara“ im Kino lief, kam der Lockdown, und wie alle anderen saß auch ich zu Hause fest. Damals hatte ich schon die vage Idee ein Drehbuch über einen heruntergekommen Tennistrainer in einer Ferienanlage zu schreiben. Und da man zu Beginn der Pandemie nicht verreisen konnte, beschloss ich, mich wenigstens gedanklich in eine andere Welt zu flüchten und begann mit der Arbeit am Drehbuch zu „Islands“. Ich glaube, dass dieser Wunsch nach Realitätsflucht auch deshalb zum zentralen Thema des Films geworden ist. Tom ist offensichtlich vor seinem alten Leben davongelaufen und wohnt jetzt da, wo andere Urlaub machen. Doch das Leben im vermeintlichen Paradies hat schnell seine Kehrseite offenbart. Tom ist gefangen in einem monotonen Alltag aus Drinks, Partys und flüchtigen Affären – auch eine Art der Realitätsflucht, wenn auch eine sehr destruktive. Unter diesem Gesichtspunkt passte die Geschichte sehr gut in eine Ferienanlage, da Urlaub ja auch eine kurze Flucht aus der Lebenswirklichkeit ist. Den Hauptfiguren in „Islands“ gelingt es zwischenzeitlich, ihr gewohntes Leben zu verlassen, um unterdrückten Sehnsüchten und Bedürfnissen nachzugehen. Ob es eine Happy End für das Kamel gibt, darf ich hier aber leider noch nicht verraten.

Sie drehen nur alle sechs, sieben Jahre einen Film. Liegt das daran, dass viel von  Ihren Figuren in Ihnen steckt, und die brauchen nun mal, bis sie eine Entscheidung treffen?

Jan-Ole Gerster: Ich bin sehr wählerisch und habe immer den Anspruch, einen Film zu machen, zu dem ich eine sehr persönliche Verbindung habe. Der Prozess ist einfach zu anstrengend, zeitintensiv und komplex um etwas herzustellen, hinter dem man nicht mit ganzen Herzen und voller Überzeugung steht. Und tatsächlich verbringe ich gerne viel Zeit mit meinen Filmen – in der Drehbuchentwicklung, im Besetzungsprozess, in der Vorbereitung und im Schnitt. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass bei all meinen Filmen viel Zeit bei den langwierigen Finanzierungsprozessen drauf geht. Leider wird es auch eher schwieriger als leichter, für Kinofilme mit künstlerischem Anspruch die notwendigen Budgets zu finden. Aber so lange das Kino existiert und es ein interessiertes und neugieriges Publikum gibt, lohnt sich dieser Kampf. Mein neues Projekt steht jedenfalls schon in den Startlöchern. Vielleicht geht es ja diesmal schneller.

Hier geht es zu unserer ausführlichen Kritik zum Film „Islands“ von Jan-Ole Gerster.

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