Jan Henrik Stahlberg
Im Max-Ophüls-Preis-Gewinner „Muxmäuschenstill“ gibt Jan Henrik Stahlberg einen Moraldiktator, der keine Gnade kennt mit seinen Mitbürgern. Privat kennt der selbstironische Linke auch wenig Barmherzigkeit – vor allem mit Politikern.
kulturnews: Was würde Moralwart Mux zur Teeniekomödie „Mädchen Mädchen 2“ sagen, in der du gerade als spießiger Verehrer zu sehen bist?
Jan Henrik Stahlberg: Ein Mux würde sich den gar nicht angucken. Er schreibt ein Manifest. Er liest Kant, versteht ihn mehr schlecht als recht. Da er glaubt, vom IQ her kurz nach Goethe zu kommen, tritt er seinen Mitbürgern als Messias gegenüber und sagt: Leute, so geht’s nicht weiter.
kulturnews: Was genau ist Muxs Problem?
Stahlberg: Nach dem Fall der Mauer hat er gesehen, wie sich die Möglichkeit einer anderen Gesellschaftsform in Luft auflöst. Die einen haben gewonnen, die anderen verloren. Seitdem schränken wir unsere Solidarität immer weiter ein, bis wir sie nicht mehr haben werden, in meinen Augen.
kulturnews: Mir kommt diese Theorie immer etwas simpel vor– als müsse man nach 100 Jahren Links und Rechts einfach nur einen neuen Markennamen für das nächste ideologische Modell etablieren …
Stahlberg: Als Linker sehe ich zur Zeit nur eine Bewegung, die ich glaubwürdig finde: Das ist attac. Aber auch die wenden sich vor allem gegen etwas. Es gibt keine Utopie, für die ich als Linker auf die Straße gehen würde. Stattdessen sind wir auf dem Weg dahin, was England mit Thatchers Privatisierungen hinter sich hat. Die SPD wird abgewählt werden, es wird Frau Merkel werden, und mit Herrn Köhler als Präsidenten haben wir den geistigen Überbau für eine große Ich-AG. Wir haben schon so oft gehört, dass wir uns das soziale Netzwerk nicht mehr leisten können, dass wir es schon selbst glauben. Die Frage ist: Wollen wir es uns noch leisten? Weil es kein Gegenbeispiel einer Gesellschaft mehr gibt, stellt sich die Problematik der Rechtfertigung gar nicht mehr. Sie ist sich selbst gerecht. Und die Krönung dieser Ideen- und Ideallosigkeit ist ein Mann wie Bohlen, der sich hinstellt und sagt: „Ich bin ein Arschloch und stolz darauf.“ Wie kann ein so großer Idiot so viel intellektuelle Aufmerksamkeit bekommen?
kulturnews: Muss also, frei nach Roman Herzogs „Ruck“, ein Mux durch Deutschland gehen, der Schwarzfahrer demütigt und Herrchen auf der Straße in die Kacke ihrer Hündchen drückt?
Stahlberg: Gott bewahre! Mux legt zwar den Finger auf die Wunden, die weh tun, aber ich würde niemals in einer Welt leben wollen, in der das moralische System dieses Spinners Recht hätte. Das war der Grad, auf dem wir wanden mussten. Man muss Mux ganz klar verurteilen und ihn doch sympathisch finden können. Wir wollten mit dem Film einen Zeitgeist einklemmen. Der Zuschauer macht sich dann schon selbst ein Bild.
kulturnews: Jedes Mal, wenn der Kanzler uns anfleht, wieder mehr zu konsumieren, könnte ich schreiend gegen die Wand laufen. Hast du auch einen persönlichen politischen Abkotzmoment?
Stahlberg: Für mich ist das Roland Koch. Der besitzt die Unverschämtheit, monatelang dem Bürger brutalstmöglich in die Fresse zu lügen. Er sagte: „Ich werde alles tun, den Parteispendenskandal aufzuklären.“ Später stellte sich heraus, dass er ihn selbst mit angerichtet hat. Dass dieser machtbesessene Zyniker im Amt bleibt, ist ein ganz großer Bärendienst an der Demokratie und macht mich ohnmächtig vor Wut. Das ist jetzt zwar schon eine Weile her, aber nicht vergessen. Deswegen wird er in auch in „Muxmäuschenstill“ namentlich erwähnt.
kulturnews: Bist du durch dein Elternhaus politisch geprägt?
Stahlberg: Wenn Helmut Kohl im Fernsehen kam, hat Mutti gesagt: „Guck dir das Arschloch an!“ Wir haben alle vom Schweinebraten aufgeguckt, haben gesagt: „Ist ein Arschloch“ und haben weiter gegessen. Ich hatte eine glückliche Kindheit.
Interview: Ralf Krämer