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Jean-Philippe Toussaint: Nackt

Wenn es zwischen den Sätzen Jean-Philippe Touissants zu flirren scheint, dann deshalb, weil der 57-Jährige kühle Präzision und Entflammbarkeit als vereinbar beweist. „Nackt“ ist der vierte und anscheinend letzte Teil einer Reihe, die um eine Frau namens Marie kreist, und obschon es eine werkübergreifend fortgesetzte Handlung gibt, ist der Roman auch isoliert gelesen ohne weiteres nachzuvollziehen.

Die Handlung ließe sich rasch resümieren, doch selbst das scheint müßig: Im Grunde ist jede äußere Handlung belanglos, Orte und Tätigkeiten sind mehr nicht als Denkanstöße, als Katalysatoren für die sich um Marie rankenden Fantasien und Kontemplationen des namenlosen Erzählers. Als spürte man, wie sein Herz in schnellerem, animierterem Takt schlägt, werden die Sätze länger und sinnlicher, sobald Marie ihr Inhalt ist. Diese Eingenommenheit so spürbar abzubilden, ohne die Contenance aufzugeben, das ist, als durchdrängen sich Luftschichten unterschiedlicher Temperaturen.

Touissants Sprache schillert nicht, sie zeigt keinerlei Not, sich durch prunkvolle Ornamente hervorzutun, und diese wären auch unnötig, tragen seine gewandten Beschreibungen doch ausreichend Schönheit in sich. Es geschieht zwar mitunter, dass Touissants Worte in etwa so frivol um sich selbst kreisen wie die des Namenlosen um Marie, das ist im Rahmen dieses innerlichkeitsfixierten Romans allerdings verzeihlich. Wenn man „Nackt“ eines vorwerfen kann, dann eine Neigung zum Kitsch. Auch wenn es, so viel sei fairerweise gesagt, sich nicht um die scham- und aufwandslos emotionalisierende Sorte handelt, die man andernorts vorfinden kann: es bleibt doch Kitsch. (lan)

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