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José Cura

Zwischen zwei Arien springt er schon mal zum Dirigentenpult und gibt von dort aus lässig den Ton an. Startenor Jose Cura und seine kleinen Ausflüge zu den allbekannten Opern-Intermezzi – man gönnt sie ihm, doch so richtig ernst nimmt man ihn nicht. Das wird sich wohl schon bald ändern. Denn der schwarz-gelockte Traum-Tenor und Frauen-Liebling aus Argentinien will’s seinen Kritikern zeigen: Ab 2002 ist er ständiger Gastdirigent der Warschauer Symphoniker und wird sich dann mit dem symphonischen Repertoire auseinandersetzen. „Fragen Sie nicht, warum ich dirigiere – ich begann als Dirigent. Fragen Sie lieber, warum ich singe, denn meine Stimme entdeckte ich erst später“, lacht der Sänger beim Interview in Zürich, wo er gerade Verdis Don Carlo mit gesunder, tenoraler Strahlkraft ausstattet und ihn zugleich als erbarmungswürdigen Neurotiker zeichnet.

Ist er nun Sänger oder Dirigent? „Ein guter Fußballspieler wird oft zum Trainer, ein guter Tänzer zum Choreographen – alles hat seine Zeit. Und man muß die jeweilige Lebensphase nutzen.“ Deshalb geht Jose Cura, der 38jährige, sportive Klassik-Entertainer auch von Mai bis Juli auf Tournee durch Deutschland – als Sänger. Start ist am 25. Mai in Hamburg. Von dort tourt er über Leipzig (Gewandhaus am 27. Mai), München (Philharmonie am 29. Mai) nach Köln (Philharmonie am 31. Mai). Das erste Open Air Konzert gibt er am 6. Juli vor dem Kurhaus in Wiesbaden, reist dann nach Wien (Konzerthaus am 8. Juli) und beschließt die Tournee beim Klassik Open-Air auf dem Berliner Gendarmenmarkt am 14. Juli.

Ob er Verdis Trovatore, den Ernani, Puccinis Pinkerton oder Kalaf, Mascagnis Turridu oder Giordanos Andrea Chenier singt – ein bißchen Show mischt er immer bei. „Ich bevorzuge dynamische Konzerte. Die Leute, die kommen, kennen die Musik, sie wollen auch etwas sehen und erleben.“

CD-Perfektion ist Curas Sache nicht. „Das muß auch das Publikum lernen. Zuhörer sein ist ein schwieriger Job. Das Publikum muß einen Künstler mit seiner Energie stimulieren, es ist durchaus beteiligt an einem großen Abend.“

Dass ein solcher nicht von einem hohen C abhängt, ist für den souveränen Gesangsstar, der zunächst scheiterte und erst beim zweiten Anlauf aus dem Chor heraus reüssierte, völlig klar. „In meinem Repertoire gibt es kein hohes C“, bekennt er selbstbewußt. Und weist süffisant darauf hin, dass es den Tenören wie den Fußballern ergehe: „Jeder redet mit und weiß genau wie Domingo oder Maradona es hätten besser machen müssen. Bei einem Pianisten muß man schon gut geschult sein, um sich zu trauen, ihm einen falschen Fingersatz vorzuwerfen…“ Grinsend weist er darauf hin, dass auch die großen Kollegen oft nur ein B sangen und „99 Prozent der Kritiker den Unterschied zu einem C’’’ nicht einmal hörten“.

Wenn’s ums Regietheater geht, kehrt der spielbegabte Jose Cura nicht den Star heraus. Gleichwohl bekennt er: „Logisch sollte es sein. Wenn ich – laut Text – jemanden berühre, umarme und küsse, dann muß ich es auch auf der Bühne tun. Dann reicht nicht die intellektuelle Idee von Berühren, Umarmen und Küssen.“ Er gibt zu bedenken, dass es viele starke Regisseure, auch viele gute, aber zuwenig charismatische Sänger gibt. „Ein Sänger mit Charisma braucht auf der Bühne nur einen Stuhl und eine Kerze – und es funktioniert. Selbst extreme Avantgarde-Regisseure akzeptieren eine starke Persönlichkeit. Denn ein wirklich guter Regisseur ist wie ein guter Gärtner, er hegt und pflegt eine Pflanze, hilft ihr, voll zu erblühen. Aber er macht aus einer Rose keine Margeritte.“

Obwohl Jose Cura seine Karriere in Europa mit Henzes „Pollicino“, Bibalos „Fräulein Julie“ und Janaceks „Sache Makropoulos“, also durachaus mit zeitgenössischer Musik startete, landete er rasch im gängigen Tenor-Fahrwasser – bei Puccini, Mascagni, Leoncavallo, Verdi, Giordano oder Ponchielli … „Man ist Sklave des Marktes“, resümiert der Tenor und gesteht: „Ich bin nicht restlos glücklich darüber.“ Cura würde sich schon auf Neues einlassen. Doch wenn ein Operndirektor ihn für drei Wochen einkauft, will er ihn möglichst effektiv einsetzen, als Bajazzo, Don Jose oder Samson und nicht in einem unbekannten, modernen Stück. Cura räumt ein: „Das darf man nicht nur den Opern- Managern anlasten. Da spielt auch das Publikum mit. Wenn moderne Stücke auf dem Programm stehen, kommt es nicht. Es ist leicht, darüber zu schimpfen, aber lieber sollte man fördern und helfen. Auch Kunst ist Business“, konstatiert Cura cool. Trotzdem würde er sich auf Zeitgenössisches einlassen, wenn da ein Komponist etwas für ihn schriebe…

Er wagt es auch in seinen Konzerten immer wieder, das Publikum zu überraschen. Etwa mit argentinischen Liedern, die nicht immer so fetzig enden wie eine italienische Bravourarie. Er, der lockere, smarte Latin Lover weiß, dass die leisen Schlüsse oft verpuffen, trotzdem riskiert er sie und setzt nicht nur auf wohlfeile, kracherte Schlußeffekte.

Wohin ihn der Weg führen, wo er enden soll, das ahnt Jose Cura, dessen internationale Karriere nach dem Domingo Wettbewerb 1994 begann, im Moment noch nicht. „Ich bin 38 Jahre alt …“ Klar, dass einem Tenor da noch alle Türen offen stehen. Zunächst einmal möchte er die rund 40 Partien seines italienisch-französischen Repertoires weiter entwickeln und vertiefen. Mit Brittens „Peter Grimes“ liebäugelt er auch schon. Ansonsten möchte er Singen und Dirigieren zukünftig klarer voneinander trennen. Der Posten in Warschau wird es erleichtern.

Lebensmittelpunkt des in Italien wie in England, in der Schweiz wie in Deutschland oder Frankreich umjubelten Tenors und seiner Familie ist mittlerweile Madrid – „die beste Möglichkeit, sich zu Hause zu fühlen, auch wenn man nicht in Argentinien ist…“ lacht Cura, der natürlich von einer Heimkehr, irgendwann einmal träumt: „Vielleicht als Großvater…“

Gabriele Luster

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