Jule Neigel
1988 gab es Yuppies, Punks und NDW. Und es gab „Schatten an der Wand“, den ersten Hit von Jule Neigel. Seither floß viel Wasser ihren Lebensfluß hinab, und das bedeutete für die Sängerin mit der rauhen Stimme: Erfolg, Entwicklung, Erkenntnisse. Jule Neigel avancierte zur Komponistin und Produzentin. Und weil sie in den letzten Jahren durch die ganze Welt reiste, beeinflußten Indianer, Asien und Afrika ihr neues Album „Alles“ (BMG M.). Den typischen Liedermacher-Sound hat sie trotzdem beibehalten – und präsentiert ihn jetzt live, unterstützt von Franziska Kleinert.
KULTUR!NEWS: Jule, woher kam dein Reisefieber?
Jule Neigel: Ich wollte neue Kulturen entdecken, Traditionen und Lebensweisen von Menschen sehen, die ganz anders leben. Besonderen Eindruck hat der Buddhismus auf mich gemacht, weil er gewaltlos ist und zufrieden macht. Menschen, die in größter Armut leben, strahlen eine unglaubliche Güte und Freundlichkeit aus. Da relativiert sich alles, was vorher anstrengend oder schwierig war.
K!N: Du hast in Sibirien gelebt, bis du sechs Jahre alt warst. Kommt daher dein Hang zu fremden Kulturen?
Neigel: Ich denke schon, daß Sibirien meinen Zugang zum Leben geprägt hat. Das Großfamiliengefühl, das elementar ist, und die weite schroffe Natur haben sich tief eingegraben. Klar habe ich dort in einer anderen Kultur gelebt, aber ich glaube, das hat wenig mit meiner Reiselust zu tun.
K!N: Was ist dir an Deutschland aufgefallen, als du wiederkamst?
Neigel: Deutschland ist nicht schlechter als andere Länder auch. Auffällig ist aber eine gewisse Starrheit: Gravierende politische Entscheidungen werden kommentarlos hingenommen, während gleichzeitig großes Augenmaß auf Dinge gelegt wird, die ziemlich unbedeutend sind. Keiner fühlt sich mehr verantwortlich … Ich sehe meine Songs als Reflexion dieser Gesellschaft.
K!N: Wo liegen deine Stärken?
Neigel: Ich bin ein treuer Mensch. Enge Bindungen geben mir viel Liebe und Vertrauen. Außerdem versuche ich, so aufrichtig wie möglich zu sein. Garantien gibt es nicht im Leben, nur Ehrlichkeit zum Ich bringt Authentizität und Verantwortung.
Interview: Anna Schwan