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Julian Barnes: Der Lärm der Zeit

Warten. Einfach nur warten. Im Treppenhaus. Im Flugzeug. Im Auto. Dabei die Gedanken schweifen lassen. Klingt gut? Nein, klingt absolut schlimm, wenn man im Treppenhaus mitten in der Nacht darauf wartet, dass der sowjetische Geheimdienst einen abholt und man nicht will, dass die Familie davon geweckt wird. Julian Barnes’ neuer Roman setzt den Komponisten Dmitri Schostakowitsch der Tortur der Angst aus. Anfangs Günstling des die klassische Musik liebenden und Beethoven verehrenden Josef Stalin, steht Schostakowitsch plötzlich auf der Liste der Verräter, als Stalin zwei Jahre nach der Uraufführung der Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ geht und den Daumen senkt. „Chaos statt Musik“ heißt der Artikel, der wenige Tage später erscheint und den zweijährigen Erfolg der Oper zur Makulatur werden lässt. Stalin soll ihn selbst geschrieben haben.

Julian Barnes hat seinen Roman, der sich fast wie eine Biografie liest und perfekt recherchiert ist, in die oben schon genannten Teile gegliedert. Schostakowitsch wartet – 1936 im Treppenhaus vor seiner Wohnung, 1949 auf dem Rückflug von der Weltfriedenskonferenz in New York und irgendwann in der Nach-Stalin-Ära im Fond seines Autos. Und während er wartet, folgt der Leser Schostakowitschs Gedankenstrom. Liest von der unendlichen Angst des Komponisten, vor allem aber von seiner Scham, denn Schostakowitsch hat, um nicht im Lager zu enden, Kompromissen zugestimmt, Auftragskompositionen geschrieben, war gegen seinen eigenen Willen Aushängeschild der UdSSR. Indem „Der Lärm der Zeit“ die Qual des Komponisten eindrucksvoll deutlich macht, wird der Roman zum gerade in der heutigen Zeit wieder notwendigen Plädoyer für die Freiheit der Kunst.

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