Julio Cortázar / Carol Dunlop: Die Autonauten auf der Kosmobahn
Vor ein paar Monaten wäre Julio Cortázar 100 Jahre alt geworden, 30 Jahre, nachdem ihn die Leukämie oder das damals noch unidentifizierte HIV-Virus das Leben gekostet hat. „Die Autonauten auf der Kosmobahn“, zusammen mit seiner Frau Carol Dunlop verfasst, ist sein letztes Buch, geschrieben in einer Lebensphase, in der Cortázar die metaphysische Beunruhigung seines Pariser Bohémien-Lebens (und damit das beständige Ringen mit sich, dem Menschen und der Welt), wie sie im noch immer unvergleichlichen Hauptwerk „Rayuela“ aufs Anschaulichste zum Tragen kommt, längst zugunsten von politischem Engagement und besonnenem Späthippietum hinter sich gelassen hat. Es handelt von einer Forschungsreise in unbekanntes Territorium, deren Versuchsanordnung wie folgt funktioniert: Im Sommer 1982 fahren Dunlop und Cortázar einen Monat lang in einem roten VW-Bus (den sie respektvoll „Fafnir, den Drachen“ nennen) auf der Autobahn von Paris nach Marseille, und auf dieser Strecke schlagen sie auf jedem Rastplatz, den sie passieren, ihr Lager auf, setzen sich auf ihre mit fürchterlichem Blumenmuster versehenen Liegestühle und halten sämtliche Eindrücke mit der Schreibmaschine fest.
So vollzieht sich die Entdeckung eines seltsamen No Men’s Land, in dem ein Vorzeigeobjekt der funktionalistischen, auf Beschleunigung und Effizienz ausgerichteten Moderne plötzlich zu einer außerhalb der Zeit stehenden Insel der Ruhe und des Miteinanders wird. Das dazugehörige Buch ist eine halsbrecherische, unbedingt originelle Kompilation aus essayistischen Reflexionen, Briefroman, kontemplativen Müßiggangsstudien und Agententhriller – vor allem aber das Dokument einer zärtlichen, von gegenseitigem Respekt und tiefer Zuneigung geprägten großen Liebe, der kein langes Happy-End vergönnt ist: Beide sind zum Zeitpunkt der Expedition bereits todkrank, und Carol, „das Bärchen“, wird die Fertigstellung des Werks nicht mehr erleben. Nur ein Jahr später sollte Julio, „der Wolf“, ihr folgen. (mwe)