Kindeswohl
Was zählt im Zweifelsfall mehr: die Würde des Menschen oder das Leben? „Kindeswohl“ mit Emma Thompson arbeitet sich an dieser Frage intensiv ab. Buchvorlage: Ian McEwan.
Die Handlung von „Kindeswohl“: Fiona May (Emma Thompson) ist Familienrichterin am Obersten Gericht in London. Fast täglich muss sie über Kinder oder Jugendliche urteilen, deren Leben aufgrund von religiösen Überzeugungen der Eltern in Gefahr ist. Aktueller Fall: Ein 17-jähriger Junge leidet an Leukämie, doch die Eltern, beide Zeugen Jehovas, wollen keine Bluttransfusion. Dürfen sie über den Tod ihres Sohnes entscheiden? … Richard Eyre hat mit „Kindeswohl“ die Verfilmung des gleichnamigen Buchs in Szene gesetzt, der Romanautor Ian McEwan lieferte gleich selbst das Drehbuch. Neben den philosophisch-existenziellen Fällen ist das Leben der Richterin zentraler Handlungspunkt. Ihr Tagesablauf und jeder Arbeitsschritt vom Studium eines Falls bis zum Urteil zeigt der Film in einer fast schon gehetzten Schnittfolge, die nur der ruhige und souveräne Arbeitsstil Mays ausgleicht: Diese Frau kann ihren Job! Dass darüber ihre Ehe in die Brüche zu gehen droht, ist keiner Überlastung geschuldet; May hat ihren Mann einfach aus dem Blick verloren. Als der ankündigt, eine Affäre zu beginnen, schmeißt sie ihn raus und lässt die Schlösser der Wohnung austauschen.
Dem an Leukämie leidenden Adam (Fionn Whitehead) verordnet sie nach einem Besuch im Krankenhaus dann die rettende Bluttransfusion. Ihre Begründung: „Das Leben ist wertvoller als die Würde des Menschen.“ Wer jetzt denkt, „Kindeswohl“ zeige eine harte, fast schon unbarmherzige Richterin, der irrt. Die Distanz zwischen Privatleben und Beruf wird in der Folge des Urteils so radikal überwunden, dass May an den Rand des Zusammenbruchs gerät. Dass der Film die Grenze zum Kitsch hier nicht überschreitet, ist dem abgeklärten Spiel Emma Thompsons zu verdanken. Sie erst macht „Kindeswohl“ zum überzeugenden Mix aus Drama und einem Film, der hochaktuelle gesellschaftspolitische Themen pointiert verhandelt. jw
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