Kirsten Fuchs: Mädchenmeute
Charlotte befindet sich gerade auf dem Höhepunkt pubertärer Verunsicherung, als ihre Mutter sie für ein „Ferien-Fun-Survival-Camp“ anmeldet. Das löst bei Charlotte erstmal gelangweiltes Schulterzucken aus. Sommerferien bei Oma, deren einzige Höhepunkte der tägliche Blechkuchen und der wöchentliche Einkauf beim gutaussehenden Apothekersohn darstellen, sind aber auch nicht wirklich verlockender, und so fährt Charlotte halb neugierig, halb widerwillig mit.
Nach einer Nacht ist schon nichts mehr so, wie es sein sollte, und Charlotte spürt, dass das der Sommer werden wird, von dem sie später ihren Enkeln erzählen wird. Wichtigste Planänderung vorerst: Es gibt keine Erwachsenen mehr. Mit der merkwürdigen Inken, die sich als Lagerleiterin vorgestellt hatte, wollen die Mädchen ihren Urlaub nicht verbringen, und so machen sie sich aus dem Staub. Sie beschließen, auf eigene Faust weiterzumachen und das Ferienlager in einem alten Stollentunnel im Erzgebirge zu verbringen. Schnell merken sie, dass Überleben ohne Aufsichtspersonen gar nicht so einfach, aber auch gar nicht so schwer ist. Und dass dabei Freundschaften entstehen, die mit Facebook so viel zu tun haben wie Vitamine mit Dosenfrüchten.
Kirsten Fuchs hat es tatsächlich geschafft, ein Buch mit einem Plot zu schreiben, der förmlich „Jugendbuch“ schreit, in dem aber trotzdem so viel reife Einsicht in die grossen Fragen des Menschseins, so viel intelligenter Wortwitz und rabenschwarzer Humor stecken, dass es Leserinnen und Leser zwischen 12 und 99 begeistern wird. Den Vergleich mit großen Coming-of-Age-Romanen wie Salingers „Fänger im Roggen“ oder Herrndorfs „Tschick“ braucht das Werk jedenfalls nicht zu scheuen. Es ist unterhaltsam und klug, es erzählt einfühlsam von originellen Figuren, die so viel Identifikationsfläche bieten, dass es fast weh tut, und vor allem: Es setzt dieser Zeit zwischen Kindheit und Erwachsenenalter, an die wir alle später mit Wehmut denken, der Zeit, in der ein Sommer die Welt sein kann, ein wunderbares Denkmal.