Kulturhauptstadt Europas Chemnitz 2025: „Es gibt viel Grund, positiv zu sein“
Mitten hinein in die Wahlerfolge der AfD und die Streichung von Kultursubventionen feiert sich Chemnitz als Kulturhauptstadt Europas 2025. Was macht das alles mit der Stadt? Vor allem Gutes, findet Stefan Schmidtke, Geschäftsführer Programm.
Stefan Schmidtke, Chemnitz ist die vierte deutsche Kulturhauptstadt Europas und die zweite in Ostdeutschland nach Weimar 1999. Bisher ist Chemnitz eher für seine Industriegeschichte- und kultur bekannt. Wie wird sich das nun ändern?
Das Motto für Chemnitz 2025 ist „C the unseen“. Das bedeutet, es gibt bislang Ungesehenes zu erleben. Chemnitz und eine Region aus 38 Kommunen laden dazu ein, die Menschen, die Stadt und die Region kennenzulernen. Die Stadt Chemnitz, die wie Sie sehr richtig sagen, eine beeindruckende Industriegeschichte hat, aus der Architektur, Kultur, Kunsthandwerk und eine ausgeprägte Macher:innenmentalität hervorgegangen sind, war bislang auf der touristischen Landkarte nicht sehr präsent. Das ändert sich gerade. Der Titel ist wie ein Scheinwerfer, der angegangen ist. Er weckt Neugier von außen und stärkt das Selbstbewusstsein nach innen. Die Menschen erleben, dass man sich für sie und ihre Geschichten interessiert. Das ist gerade im Osten ein wichtiges Thema. Die Impulse, die dieser Titel setzt, sind bereits jetzt spürbar. Es haben sich viele neue Netzwerke und Strukturen in der Stadt und der Region gebildet, die Menschen schauen über den Tellerrand hinaus nach Europa, sie verstehen, dass sie durch ihr eigenes Handeln, durch ihre Projekte Dinge in Gang setzen und damit ihre eigene Lebensrealität aktiv gestalten können.
Es gibt die fünf Programmfelder „Europäische Macher:innen der Demokratie“, „Osteuropäische Mentalität“, „Großzügige Nachbarschaft“, „Macher:innen² und „In Bewegung!“ entworfen. Wie kamen diese zustande?
Viele lokale Kulturakteur:innen haben sich mit ihren Ideen in die Bewerbung um den Titel Europäische Kulturhauptstadt eingebracht. Die Programmfelder und die dazu gehörigen Projekte sind in diesem Prozess von den Chemnitzer:innen zusammen mit dem Bewerbungsteam entwickelt worden. Sie haben darin formuliert, was ihnen wichtig ist: kulturelle Partizipation, die osteuropäische Identität, gemeinsam Dinge zu bewegen, Kreativität und Macher:innenmentalität als Impulse für Innovation und die Zusammenarbeit mit den Menschen aus der Region sowie den europäischen Nachbarländern. Aus der Reflektion über die Gegenwart und die gesellschaftlichen Herausforderungen sind die Programmfelder entstanden, auf denen die Bewerbung, das sogenannte Bidbook und damit das Programm basiert. Die Chemnitz 2025 gGmbH wurde erst nach Titelgewinn gegründet, um die im Bidbook formulierten Programmideen umzusetzen. Diese wurden in den vergangenen zwei Jahren noch erweitert, zum Beispiel um das Team Generation, das sich vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und einer alternden Stadt um den Austausch zwischen den Generationen kümmert. Außerdem werden etwa 60 Projekte aus dem Bidbook um mindestens weitere 60 ergänzt, die 2023 in offenen Ausschreibungen eingereicht wurden und durch ganz aktuelle Perspektiven ergänzen.
Kulturhauptstadt Europas Chemnitz 2025: Die AfD als düsterer Schatten
Der Bund streicht gerade massiv Fördermittel und Kulturfonds zusammen. Ist die freie Kulturszene in Chemnitz davon auch betroffen und dadurch auch Chemnitz 2025?
Die Vereinbarung über die Finanzierung von Chemnitz 2025 haben der Bund, der Freistaat Sachsen und die Stadt Chemnitz unmittelbar nach der Titelvergabe im Herbst 2020 getroffen. Diese Mittel sind sicher. Es gibt auch bereits eine umfangreiche unterstützende Förderzusage für die Region von der Kulturstiftung des Bundes über knapp sieben Millionen Euro bis 2029, für das Programm „Enter – Junge Kulturregion“, um Projekte junger Menschen mit Künstler:innen und Künstler über das Kulturhauptstadtjahr hinaus zu unterstützen.
Bei den Landtagswahlen bekam die rechtsextreme AfD fast 31 Prozent der Stimmen. Das wirft einen düsteren Schatten auf Chemnitz 2025 und schadet dem Ruf Sachsens massiv. Fürchten Sie Folgen für die Kulturhauptstadt Europas Chemnitz 2025?
Schmidtke: Ich sehe hier vor allem einen Auftrag an uns alle: zu zeigen, wie viele Menschen sich hier engagiert und mit großer Leidenschaft für Toleranz, Respekt und Vielfalt in unserer Gesellschaft einsetzen. Das sind die Grundwerte, die unseren Wohlstand und unser gutes Zusammenleben garantieren. Allein über 500 Volunteers haben sich bereits für das Freiwilligenprogramm von Chemnitz 2025 angemeldet und machen mit, es werden wöchentlich mehr. Das Demokratiefestival Kosmos, das in Reaktion auf die rechtsradikalen Ausschreitungen 2018 entstand, ist identitätsstiftend für diese Stadt und bringt Zehntausende zusammen. Das sind sehr viel mehr als diejenigen, die Rechtspopulisten wählen. Befürchtungen beschäftigen uns wenig. Alle schaffen die Energie, die die Strahlkraft des Projekts Kulturhauptstadt Europas sehr viel wirkmächtiger werden lässt als der Schatten, von dem Sie sprechen.
Wie groß ist Ihre Angst, dass es die Kulturszene in Sachsen, wie sie jetzt existiert, bald nicht mehr gibt, wenn die AfD mitregiert? Die Partei wird beispielsweise gegen jede Form von kultureller Diversität vorgehen, wie sie auf ihrer Website schreibt. Ohne diese ist aber keine Kultur denkbar.
Die Gefahr, dass eine Regierungsbeteiligung der AfD Einfluss auf die Vielfalt der Kultur und die Freiheit der Kunst hat, ist durchaus real. Das beobachten wir in Ländern wie Polen oder Ungarn, wo Rechtspopulisten in der Regierung waren oder sind. Deshalb halte ich es für besonders wichtig, dass die aktuellen Regierungskoalitionen, die Mittel für Kultur nicht zur Disposition stellen. Kultur in ihrer weitesten Bedeutung schafft Raum für Begegnung, bietet verschiedene Perspektiven und Möglichkeiten für Partizipation und Teilhabe. Öffentliche Mittel sind unerlässlich, um all dies mit Kunstinstitutionen, soziokulturellen Einrichtungen oder Vereinen zu gewährleisten. Brechen diese Strukturen zusammen, hat dies Folgen für die Gesellschaft.
Um noch mal auf die von Ihnen angesprochene Strahlkraft zu kommen: Chemnitz 2025 bietet eine willkommene Chance für die demokratischen und solidarischen Kräfte, zu beweisen, dass der größte Teil der Menschen in der Stadt und im Bundesland tolerant ist.
Ganz genau. Es gibt viel Grund, positiv zu sein. Die Chemnitzerinnen und Chemnitzer gestalten ein nie dagewesenes Programm. Alle gemeinsam sind Kulturhauptstadt Europas. Über 100 Projekte und bis zu 1000 Veranstaltungen werden umgesetzt. Die Menschen freuen sich auf viele Gäste aus Deutschland, Europa und darüber hinaus, denen sie 2025 eine gastfreundliche und weltoffene Stadt und Region zeigen wollen.
Interview: Volker Sievert