Anzeige
Kunst trifft auf Vielseitigkeit: Gina Étés neues Album „Prosopagnosia“

Zart und anmutig oder kraftvoll und expressiv: Gina Étés „Prosopognosia“ strotzt vor kunstvoll umgesetzter Vielseitigkeit.
Wem das Glück widerfährt, dieses Album in den Händen zu halten, der nimmt sich besser ein wenig Zeit und macht es sich gemütlich. Gina Étés Hybrid-Pop „Prosopagnosia“ verführt mit hypnotischen Klängen und originellen Arrangements, und fordert dabei auch noch zum Nachdenken auf. Im Titel steckt der erste Hinweis für die Bedeutungstiefe dieses Albums: Prosopagnosie ist die Unfähigkeit, Menschen anhand ihres Gesichts zu erkennen. Hiervon selbst geringfügig betroffen, schafft es die Schweizer Singer/Songwriterin, in dieser vermeintlichen Beeinträchtigung auch etwas Schönes zu erkennen: „Ich habe mich gefragt, ob man dies statt als Krankheit nicht auch als (…) Gabe ansehen könnte, weil man auf diese Weise eine Person immer wieder aufs Neue kennenlernt und ohne Vorurteile anschaut – zum Beispiel im Hinblick auf Rassismus oder Sexismus“.
Ohne Vorurteile sollte man das Album gleich in Gänze hören. Gina Été beschränkt sich nicht auf einen einzigen Stil, geschweige denn auf eine einzige Sprache: Wieso auch, wenn man vielseitig begabt ist? Stattdessen singt sie mal Französisch, mal auf Schwyzerdütsch, mal klingt sie zart und anmutig, mal kraftvoll und expressiv. Vielfältig ist auch die instrumentelle Begleitung. Es vermischen sich langgezogene Synths mit Violine und gefühlvollem Piano. Schnelle Stellen werden von langsamen abgelöst, laute von leisen, und das alles unterlegt mit Drums, die einen immer wieder überraschen, bevor es zu eintönig wird. Das Ergebnis ist eine atmosphärische, sich entwickelnde Komposition die sich immer wieder aufbauscht, um dann wieder abzuflachen, sich ausdehnt und dann plötzlich wieder ganz klein wird.
Gina Été: „FUCK GENRES, FUCK BORDERS & FUCK GENDER ROLES“
Unkonventionelle Arrangements, spannende Vermischung von Instrumenten: Kein Wunder, dass sich Gina Été nicht wirklich in eine Schublade stecken lässt. Das sollte die studierte Bratschistin jedoch herzlich wenig stören, nicht zuletzt, da ihr dieser Facettenreichtum bereits Vergleiche mit Radiohead und Björk bescherte. Wer auf ihre Texte achtet, wird die Forderungen nach Freiheit und Emanzipation unschwer erkennen. So hinterfragt „Love to Work“, zum Beispiel, unsere „angelernte, weiße bürgerliche Sexualmoral“, während sich „F***you:you“ über Gegner des Genderns echauffiert: „Ich sei doch Teil von deinen Worte/Ich sei doch immer mitgemeint”. Inhaltlich ist „Prosopagnosia“ damit eine Weiterentwicklung im Vergleich zu Étés erstem Album „Erased by Thought“, weg vom männlich dominierten Rockband-Reigen, hin zur Auseinandersetzung mit dem Menschsein, Körperlich-Sein, als-Frau-geboren-Sein.