Kunstfest Weimar 2024: Zwischen Kultur und Politik
Das Kunstfest Weimar ist das größte Festival der zeitgenössischen Künste in Ostdeutschland. Der künstlerische Leiter Rolf C. Hemke will dabei Kunst mit Politik verbinden.
Herr Hemke, Konzerte, Filme, Performances, Tanz, Schauspiel, Kunst: Nach welchen Gesichtspunkten haben Sie das Programm beim diesjährigen Kunstfest Weimar, des „größten Festivals der zeitgenössischen Künste in Ostdeutschland“, zusammengestellt?
Wir entwerfen unser Programm nicht am Reißbrett, sondern es wächst organisch zusammen. Das heißt, große Projekte mit gesteigertem Finanzbedarf unterliegen einer längeren Planung und sind, wenn sie einmal finanziert sind, ein Ankerpunkt im Programm. Dann gibt es einen kontinuierlichen Dialog mit einer ganzen Reihe von Künstler:innen, die überwiegend schon mal beim Kunstfest vertreten waren und mit denen wir schauen, ob wir vielleicht (erneut) zusammenkommen können. Diese Künstler:innen begleite ich teilweise schon seit meinen Anfängen als Kurator vor knapp zwanzig Jahren, und hier ist natürlich die Qualität und persönliche Wertschätzung ihrer Arbeiten als auch eine gewisse Resonanz beim Weimarer Publikum ausschlaggebend, sofern sie schon bei uns waren. Ein weiteres wichtiges Standbein sind natürlich die lokalen und regionalen Kooperationen, die wir Jahr für Jahr initiieren, neu auflegen oder fortsetzen. Zudem sei nicht vergessen, dass es für uns ein entscheidendes Kriterium ist, Ur- oder Erstaufführungen zu präsentieren, was tatsächlich jedes Jahr dann auch bedeutet, über eine ganze Reihe von Projekten erst gar nicht nachdenken zu können oder müssen. Leider ist dann natürlich die finanzielle aber auch technische Realisierbarkeit von Projekten sehr relevant, etwa die Frage: Haben wir die passende Spielstätte für ein Projekt?
Ein Highlight beim Kunstfest Weimar sind für mich Sandra Hüller, Comedian René Marik, Popliterat Schorsch Kamerun und Elektromusiker PC Nackt mit dem musikalischen Abend „Come as you are“ gegen gesellschaftliche Spaltung.
Schorsch Kamerun bespielt diese Festivalsaison an zwölf Abenden ab 25. August jeweils ab 18;00 Uhr den Festivalpavillon auf dem Theaterplatz mit seinem partizipativen Dialogprojekt „Bevor wir kippen“. Dieses Cabaret zur Überprüfung von nötigen und unnötigen Ausdrucksformen stellt jeden Tag neue Expert:innen eines Genres oder einer Ausdrucksform vor, die zur Disposition stehen könnte, falls die extreme Rechte an der Macht beteiligt würde. Es geht um Themen wie Inklusion, Integration, Gedenkkultur, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, aber auch das Gendern, den Feminismus oder Diversität. Täglich kann das Publikum dann darüber abstimmen, was notwendig ist oder eben auch nicht. Im Rahmen dieses Projektes übernimmt Schorsch auch einen Abend die große Bühne des Deutschen Nationaltheaters für seine Wahlerinnerung im Galaformat. Dieser musikalisch-literarische Abend wird sicherlich äußerst unterhaltsam, böse aber natürlich auch politisch … ich bin selber sehr gespannt.
Das Kunstfest Weimar findet in der Stadt statt, in der Goethe und Schiller gewirkt und den deutschen Geist geprägt haben, am Gründungsort der ersten deutschen Demokratie Weimarer Republik und nicht weit entfernt von der Gedenkstätte des KZ Buchenwald. Wie gehen Sie und ihr Team mit dieser auch symbolischen Verantwortung um?
Indem wir Haltung zeigen. Indem wir unter meiner Leitung das traditionelle Gedächtnis-Buchenwald-Konzert wieder eingeführt haben. Indem wir uns seit Jahren schon mit Projekten gegen den Rechtsextremismus positionieren. Indem wir versuchen, spielerisch aufklärend zu wirken. Indem wir etwa eine Ausstellung wie „Das andere Russland“ über die Arbeit der in Russland verbotenen Menschenrechtsorganisation Memorial initiieren und deren Kampf für die historische Wahrheit und Dokumentation der jahrzehntelangen Tyrannei in Russland unterstützen. Indem wir ein Projekt wie „Lurie’s Lyrics“ über das Leben des No-Art-Künstlers und Buchenwald-Überlebenden Boris Lurie zeigen. Indem wir jedes Jahr eine hochkarätige, politische Diskursreihe mit dem ehemaligen Buchenwald-Stiftungsdirektor Professor Volkhard Knigge anbieten, in diesem Jahr unter dem Festivaltitel „Wofür wir kämpfen“. Indem wir ein Musiktheaterprojekt zur Uraufführung bringen, indem Starautor Max Czollek und der brillante Komponist Michael Werthmüller Schönbergs Melodram „Der letzte Überlebende von Warschau“ unter dem Titel „Der letzte Ermordete von Warschau“ überschreiben… Noch mehr Beispiele gefällig?
Die Landtagswahlen im Thüringen sind am 1. September, mitten während des Festivals. Es droht eine Regierungsbeteiligung der AfD, mit möglichen Folgen für das Kunstfest Weimar, das sich klar gegen Rassismus, Rechtsextremismus und Antisemitismus positioniert und vom Land Thüringen gefördert wird. Bereiten Sie sich darauf vor?
Hemke: Ich glaube nicht, dass es zu einer Regierungsbeteiligung der AfD in Thüringen kommen wird. Die Möglichkeit besteht, ja. Aber es sieht ja derzeit in den Umfragen ganz gut aus, dass es zu einer Mehrheit auch ohne AfD kommen kann, sollte sich die CDU – wie bereits diskutiert – mit dem BSW arrangieren können. Sinnvoll wäre natürlich jedenfalls, wenn die CDU ihren Unvereinbarkeitsbeschluss in Bezug auf die Linke aufheben würde, aber dazu wird es wohl nicht kommen. Um auf Ihre Frage zu antworten: Nein, wir bereiten uns da nicht drauf vor, wie auch? Die erste Frage wäre ohnehin, ob wir nicht sofort abgewickelt würden …
Das Motto des Kunstfestes und auch der Titel einer Gesprächsreihe ist „Wofür wir kämpfen“. Wie kämpferisch muss die Kunst in diesen Zeiten (noch) werden?
Die Möglichkeiten politisch zu wirken sind natürlich begrenzt … Ich halte es für wichtig, Flagge zu zeigen und klar zu benennen, was auf dem Spiel steht. Ich halte es auch für wichtig, niederschwellig zu agieren, um auch mit Menschen zu interagieren oder ins Gespräch zu kommen, die vielleicht keine Kulturgänger:innen sind. Letztlich geht aber natürlich immer auch um die künstlerische Form. Wir stehen nicht dafür, hier ein Agitprop-Festival abzuziehen. Wir hoffen, Denkanstöße setzen zu kennen, wir wollen aber natürlich auch zeitgenössische Kunst auf höchstem Niveau anbieten, um zum Kunstgenuss zu verführen. Wenn beides gleichzeitig gelingt, haben wir unser Ziel erreicht.
Interview: Volker Sievert