Leos Carax
Die dreijährigen Dreharbeiten für den Film „Die Liebenden von Pont-Neuf“ führten Alexandre Dupon alias Leos Carax durch die Hölle. Der französische Regisseur zog sich danach lange Zeit aus dem Filmgeschäft zurück. Erst jetzt, acht Jahre später, kommt sein neuer Streifen „Pola X“ ins Kino. Im Mittelpunkt steht eine verbotene Liebe.
city.mag: Warum haben Sie Herman Melvilles Roman „Pierre“ verfilmt?
Leos Carax: Als ich den Roman als 19-Jähriger gelesen habe, dachte ich sofort: „Das ist mein Buch.“ Weil mich diese Geschichte so bewegt hat, wollte ich sie verfilmen.
city.mag: Was hat Sie denn besonders an dem Stoff interessiert?
Carax: Nicht unbedingt der Inzest. In all meinen Filmen spielt die Schwester eine wichtige Rolle. Ganz besonders natürlich in „Pola X“. Als Pierre seiner Schwester Isabelle in den Wald folgt, sucht er in ihr einen Teil seiner selbst: Seinen weiblichen Part.
city.mag: Die Suche nach der eigenen Identität steht also im Vordergrund?
Carax: Isabelle hat im bosnischen Kriegschaos viel durchgemacht. Sie ist wie ein wildes Tier: verwundet, verloren – ohne einen Zufluchtsort. Pierre dagegen ist jung, schön, reich und gesund. Aber es mangelt ihm an Lebenserfahrung. Isabelle soll ihm helfen, die Welt zu entdecken. Er kehrt seinem alten Leben und seiner Familie den Rücken. Und begibt sich auf einen gefährlichen Pfad.
city.mag: Mit Pierre scheinen Sie sich allerdings nicht identifizieren zu können. Denn im Gegensatz zu den Helden Ihrer anderen Filme trägt er nicht Ihren Namen.
Carax: Der Romanautor Melvilles hat Pierre erfunden. Weil er bedeutet jünger als ich ist, wollte ich ihn nicht Alex nennen. Mein Name hätte nicht zu einem so unreifen Charakter gepasst.
city.mag: Sie scheinen sich viele Gedanken um Ihre Filmprojekte zu machen. Aber kommen Ihre Botschaften auch wirklich beim Publikum an?
Carax: Wohl nicht. Denn ein Film ist immer ein Missverständnis. Die Leute lieben oder hassen ihn aus den unterschiedlichsten Gründen. Aber was soll’s? Meine Streifen müssen nicht zwingend jedem Zuschauer eine Antwort geben.
Interview: Dagmar Leischow