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Leslie Mandoki im Interview: #BrückenBauen

Leslie Mandoki
Foto: Red Rock

Leslie Mandoki im Interview zum neuen Doppelalbum der Mandoki Soulmates „Living in the Gap/Hungarian Pictures“, mit der er jetzt auf Tour geht.

Leslie Mandoki gilt als unangepasst und unbequem. Bei seiner Lebensgeschichte ergibt sich das fast von selbst: Nachdem er jahrelang mit Zensur und Auftrittsverboten zu kämpfen hatte, wagte der heute 66-jährige Musiker im Jahr 1975 eine spektakuläre Flucht aus dem stalinistischen Ungarn. Gab Mandoki bei der Aufnahme seines Asylantrags in Deutschland den kühnen Plan an, ganz bald mit Helden wie Ian Anderson und Jack Bruce von Cream Musik zu machen, wurde er in den 80ern zunächst als Protagonist der Schlagertruppe Dschinghis Khan mit Hits wie „Moskau“ berühmt – ein Kapitel, das er heute am liebsten unter den Teppich kehren würde. Überwunden hat er diese Eskapade längst. Wenn jetzt das neue Doppelalbum der Mandoki Soulmates erscheint, kann er auf zehn Alben des von ihm angeführten All-Star-Projekts zurückblicken, auf denen nicht nur Anderson und Bruce, sondern auch Bobby Kimball von Toto, Chris Thompson, Peter Maffay und Till Brönner mitgewirkt haben.

Während Leslie Mandoki auf „Hungarian Pictures“ die Kompositionen von Béla Bartók in jazzigen Progrock überführt, greift die erste Platte des Doppelalbums aktuelle politische Diskussionen auf: Mit „Living in the Gap“ verneigt er sich vor dem Engagement der Fridays-for-Future-Jugend und gesteht die Verfehlungen der eigenen Generation ein. Mandoki beklagt den Verlust der Streitkultur und hadert mit den sozialen Medien, die wir fast nur noch als Instrumente der Selbstbestätigung nutzen. Er ist für die CSU in den Wahlkampf gezogen, hat Werbejingles für diverse Autokonzerne komponiert und plädiert für eine Auseinandersetzung mit dem umstrittenen ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán – und Mandoki sieht in all dem keinen Widerspruch, wenn er gegen Rassismus, Homophobie und die Diskriminierung von Frauen kämpft und sich für verantwortungsvolles ökologisches Handeln einsetzt.

Leslie, mit den Mandoki Soulmates hast du schon immer politische Themen verhandelt, doch hinter der neuen Platte steht eine besonders große Dringlichkeit. Es ist eine Stabübergabe an die nächste Generation.

Leslie Mandoki: Es ist eine Art Vermächtnis. Ich wollte nicht einfach nur ein weiteres Album veröffentlichen. Also habe ich mich zurückgezogen und mir Gedanken gemacht: Entweder du schreibst jetzt das beste, wichtigste und substanziellste Album deines Lebens – oder du machst keins mehr. Dabei ist ein Konzept-Doppelalbum entstanden, das das Versagen meiner Generation thematisiert. Nach dem Mauerfall hat es Glück vom Himmel geregnet, wir hatten alle Chancen, aber wir waren rücksichtslos und hinterlassen unseren Enkeln jetzt eine Welt in Trümmern.

Eine Hauptschuld gibst du dem technologischen Fortschritt, durch den wir unsere Streitkultur verloren hätten. Dabei bieten doch gerade die sozialen Medien die Möglichkeit zu einem viel breiteren Austausch.

Mandoki: Social Media hat auch viele Vorteile, gar keine Frage. Ich sage ja nicht, dass diese neuen Medien daran schuld sind, dass kein Austausch mehr stattfindet. Mir geht es eher darum, dass unser Umgang mit ihnen eine Spaltung in der Gesellschaft vorantreibt. Wir sind in einer Echokammer gefangen, umgeben uns nur mit Meinungen, die die eigene widerspiegeln und bestätigen. Dadurch wird nicht mehr diskutiert, und man setzt sich nicht mehr mit relevanten Themen auseinander. Allein die Tatsache, dass die Randparteien so starke Zustimmung bekommen, zeigt das doch gut genug. Und die akademische politische Elite sitzt in ihrer Komfortzone und versagt bei der Aufgabe, die Leute abzuholen. Da ist etwas schiefgelaufen. Willy Brandt wollte damals Brücken bauen – wieso ist das heute nicht mehr möglich? Alle denken nur noch an sich. Wir sind unachtsam geworden. Deswegen ist es mir so wichtig, ein unangepasster, rebellischer Musiker zu sein.

Du hast immer schon den Austausch mit Personen und Organisationen gesucht, mit denen andere eine Diskussion verweigert hätten.

Mandoki: Ich bin ja ein illegaler Einwanderer gewesen, und in „Turn the Wind“ heißt es auch: „As a refugee I came to Germany, to be free to disagree.“ Ich war nicht bereit, Zensur zu akzeptieren, und ich habe dagegen gekämpft, dass wir nicht reisen durften und meine Journalistenfreunde wegen Verstößen gegen die Zensur eingesperrt wurden. Das waren für mich elementare Freiheiten, die mir genommen wurden, und deshalb bin ich jetzt so unbequem. In einer Zeit von Fake News und spaltenden Schlagwörtern gibt es zwei Berufsgruppen, die in besonderer Verantwortung stehen, einen pluralistischen Brückenbau zu ermöglichen: die Journalisten und die Künstler. Sie sind zwei wichtige Säulen, die noch als Freidenker unterwegs sein müssen.

Die Frage ist nur, ob es dir als Freidenker gelingt, bei den Älteren ein Schuldbewusstsein zu wecken und gleichzeitig eine Brücke zur jungen Generation zu schlagen.

Mandoki: Mit diesem Projekt richte ich mich als Vertreter der älteren Generation an die Jugend: Wir haben versagt. Lasst uns jetzt gemeinsam den Diskurs starten, um Lösungen zu finden. Es geht darum, achtsam miteinander und mit der Umwelt umzugehen. Wir haben damals ein Generationenverbrechen begangen – es hat nur keiner gemerkt. Die Schlüsselfrage ist, ob es mir als Ü60-Musiker gelingt, die junge Generation zu erreichen. Wir müssen jetzt die Fackel weitergeben und zusammenarbeiten. Ich bin gegen diese unachtsame Politik, für die Generationsgerechtigkeit ein Fremdwort ist. In unserem gegenwärtigen System hat die Gier die Achtsamkeit besiegt – und das ist nicht okay. Natürlich ist die Macht im Moment am falschen Ende der Gesellschaft, und mir ist es wichtig, dass die Macht transferiert wird. Deswegen auch die Songzeile: „Young rebels shall rule the world to steer us away from what we have burned.“

Ab dem 31. Oktober geht er mit seiner All-Star-Band, den Mandoki Soulmates, auf Tour, um sein neues Album vorzustellen.  Dabei steht jedoch nur der zweite Teil des Doppelalbums, „Hungarian Pictures“ im Fokus.

Tourdaten:
31. 10 Hamburg
7. 11. München
8. 11. Dortmund
9. 11. Dortmund

Tickets gibt es bei Eventim.

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