Zum Inhalt springen

Lisa Politt: Kabarettpremiere im Hamburger Polittbüro

Lisa Politt und ganz klein C. Bartz
Lisa Politt und ganz klein C. Bartz (Foto: Friedemann Simon)

Lisa Politt feierte im Hamburger Polittbüro mit ihrem neuen Kabarettprogramm Premiere: „Die Arroganz der Verlierer“.

Lisa Politt, die schon vor drei Jahren mit ihrem „Solo“-Stück „Sollbruchstelle“ zeigte, was Kabarett heute noch zu leisten vermag, ist mit „Die Arroganz der Verlierer“ zurück auf der Bühne. Erneut zeigt sie gemeinsam mit Christian Bartz, dem Co-Autor, Regisseur und Mann an der Technik, wie man jeglichen Frontalunterricht aus einem Programm streicht und stattdessen durch Widerspruch, Korrektur und Kommentar aus dem Technik-Off die Bühnenfigur in ihrer Autorität unterminiert und sie damit erst für das Publikum zugänglich macht.

Kleiner Einschub zum Premierenpublikum im Hamburger Polittbüro: Es war entschieden zu wenig, zumal angesichts der Qualität der Politt’schen Bühnenauftritte. Da mag die Anwesenheit von Kabarett-Urgestein Henning Venske etwas trösten, der den Abend hinterher in den höchsten Tönen lobte, adäquater Ausgleich für ein volles Haus (im Sinne der Coronabeschränkungen) ist auch sein Ritterschlag nicht. Doch zurück zum Programm.

Lisa Politt kommt zu spät zur Aufführung, Christian Bartz rügt sie deshalb aus dem Off, sie keilt schon gleich zurück. Diese Form der fikitven Live-Regieführung wird sich im Laufe des Abends zum roten Faden entwickeln. Thematischer roter Faden ist Politts Mutter. Eine „Zugreifende Zärtlichkeit einer Lazarettschwester“ attestiert Lisa Politt ihr schon ziemlich zu Beginn des Abends. Obwohl die Kabarettistin die sich an ihrer Mutter abarbeitende Tochter spielt, hat sie fürs Publikum was ganz anderes im Sinn: Politt zeigt bis ins Kleinste die Ausbeutung von Pflegekräften aus Ländern des ehemaligen Ostblocks auf. Dass sie dabei nicht anklagt, sondern auf die Notlage aller Beteiligter verweist, macht diesen Teil des Programms so stark: Einerseits wird die Heimunterbringung vom Staat mit dem meisten Geld gefördert, weil er dadurch einen ganzen Unternehmensbereich am Leben erhält.

Ausbeutung und Pflege

Die Bühnenfigur Politt aber will individuelle Betreuung mit einer Pflegekraft auf Standby, um ihre Mutter nicht einer durchgetakteten, effizienten Pflegeindustrie auszusetzen. Das ist verständlich, gleichzeitig kann und will sie den Mindestlohn nicht zahlen. Christian Bartz entlockt ihr dieses Geständnis durch immer neue Sticheleien und Fragen, und Politt verteidigt sich auf eine Art, die die gesamte moralische Widersprüchlichkeit der Situation offenlegt. Die polnische Pflegekraft pflegt Politts Mutter für weniger als 2 000 Euro im Monat und vernachlässigt deshalb ihre eigene Mutter. Hinzu kommt eine moralisch unhaltbare historische Komponente: Die Mutter war Mitglied des Bundes Deutscher Mädel, als Deutschland mordend über Polen herfiel. Jetzt wird sie von einer Enkelin jener überfallenen Generation Polens gepflegt.

Lisa Politt: Schwarze Pädagogik

Lisa Politt und Christan Bartz spielen diese komplexe Gemengenlage bis ins kleinste Detail durch und etablieren gleichzeitig ein weiteres Thema aus dem Mutter-Tochter-Kosmos: die mangelnde emotionale Intelligenz der Bühnenfigur Politt. Über die Erziehung durch ihre Mutter hat Lisa Politt schon in „Sollbruchstelle“ ausführlich erzählt. Jetzt kitzelt Christian Bartz noch mehr aus ihr heraus, kritisiert Politts mangelndes Einfühlungsvermögen, ihre Barschheit. Auch hier wieder: Kein Frontalunterricht, sondern Theater, Dialog, Auseinandersetzung.

Andreas Kalbitz im Visier

Dieser rote Faden ist durchwirkt von anderen Themenfarben: Die Bundestagswahl, die Flutkatastrophe, Armin Laschets Sympathien zu Rechstaußenpositionen und sogar eine Livereportage aus dem Wembley-Stadion während der Fußball-EM sind Bestandteile des Programms. Höhepunkt dieser weiteren Themen aber ist ein fiktives Interview Lisa Politts mit Andreas Kalbitz, dem AfD-Rechtsaußen, der von seiner Partei wegen zu reaktionärer Positionen aus der Partei geworfen wurde und jetzt unter eigener politischer Flagge segelt. Christian Bartz spielt Kalbitz perfekt in seiner selbstsicheren Art und lässt ihn Dinge sagen, die er in echten Interviews so wohl nie sagen würde, weil sie den deutschnationalen, völkischen Politiker in seiner politischen Denkweise und Strategie schlicht bloßstellen.

Kabarett-Urgestein Henning Venske sagte nach der Premiere, das, was Lisa Politt und Christian Bartz machen, sei schon kein Kabarett mehr, sondern Theater. Das ist als dickes Lob zu verstehen. Lisa Politt aber arbeitet als hierzulande beste politische Kabarettistin seit Jahren an der Fortentwicklung des Genres Kabarett. Warum nicht mit den Mitteln des Theaters? jw

Lisa Politt und Gunter Schmidt – gemeinsam sind sie das Kabarett-Duo Herrchens Frauchen – erhielten vor zwei Jahren den Rolf-Mares-Theaterpreis in der Kategorie Sonderpreis.

 

Beitrag teilen:

Mehr Kulturhighlights imkulturnews.letter

Jetzt kostenlos abonnieren