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Lucilectric

Erinnert sich noch jemand an den nachmals als „Girlie-Hymne“ gefeierten Refrain: „Weil ich ein Mädchen bin“? Das tragische, typische Schicksal einer jungen, neuen Band, nach dem ersten Hit einen zweiten und dritten und vierten machne zu sollen, die alle „wie der erste“ sind, haben Luci van Org und Ralf Goldkind alias Lucilectric durchgemacht. Aber sie haben es auch überstanden und präsentieren auf ihrem dritten Album „Tiefer“ (EMI) nach wie vor fröhlichen Pop, der unter der Oberfläche aber ein ganzes Stück abgeklärter geworden ist.

In wieweit ist „Tiefer“ ein Neuanfang für Euch?

Luci van Org: Die zweite Platte muß man aus unserer Karriere ausklammern. Das war, als ob du von einem reißenden Fluß mitgerissen würdest. Du versuchst nur, nicht zu ertrinken und merkst gar nicht wo das hingeht. Irgendwann stehtst du dann am Ufer und sagst, Oh Gott, wo bin ich denn hier gelandet. Die Platte hätten wir einfach nicht machen sollen.

Ralf Goldkind: Wir waren echt, als wir Erfolg hatten und als wir nicht mehr echt waren, hatten wir auch keinen Erfolg mehr.

Ihr habt Euch ziemlich Zeit gelassen, bis Ihr Euch wieder in die Öffentlickeit gewagt habt…

Luci: Wir mußten erst einmal ein bißchen leben, das hatte man uns damals nicht gelassen, weil gleich wieder was verkauft werden mußte.

Wie sehr autobiographisch sind Deine Songs denn?

Luci: Total! Und wenn mir dann jemand sagt, das ist totaler Schrott, dann tut es weh. Man wird angreifbar, aber je nackter du bist, je mehr du dich preisgibst, desto schöner ist es, wenn Leute dann darauf anspringen. Wir haben diesmal konsequent die Stücke wieder runtergeschmissen, die emotional nicht tief genug waren.

Aber manchmal stellt sich ein superguter Text, wenn du ihn dann singst , als so was von peinlich heraus, aber an dem Punkt fangen wir an, uns selbst zu verarschen. Der einzige Reim, den wir auf „Heavy Metal“ wußten, war „Zettel“, und da kommt dann eben lustiger Schwachsinn bei raus.

Nimmst Du die Ideen für die Songs also immer aus Deinem Leben?

Ralf versorgt mich immer mit Inspirationskassetten aus seiner reichhaltigen Musiksammlung. „Bye-Bye“ etwa heißt auch ein Stück von Leonard Cohen, wo eine ähnliche Süffisanz drin ist. Das Stück habe ich in einer Phase gehört, in der meine Ehe in die Brüche ging. So läßt man sich inspirieren, aber nicht in dem Sinne, daß man klaut, sondern daß du mit Hilfe von anderer Leute Musik entdeckst, was dir am Leben wichtig ist.

Wie wichtig ist Eure Umgebung für Euch? Gäbe es Lucilectric ohne Berlin?

Ralf: Ich brauch Berlin.

Luci: Ich auch, auf alle Fälle. Da gibt es ein kreatives Umfeld, eine gewisse Rotzigkeit im Umgangston: Humor ist, wenn man beleidigt ist und trotzdem lacht. Die Stadt hat eine sehr große Melancholie. Verfall und Armut und gleichzeitig Geprotze und Hektik, alle Facetten der Lebens sind da geballt auf einem Haufen.

Ralf: Deswegen bin ich mit 17 nach Berlin in ein besetztes Haus gezogen. Mit drei anderen Kumpels haben wir eine 7-Zimmer-Etage besetzt. Irgendwann kamen dann die Politheinis und wollten uns vollabern, aber die haben wir rausgeschmissen, wir wollten nur wohnen. Wir hatten Musik und Punk. Und nicht zum Bund zu müssen, war ein angenehmer Nebeneffekt, andererseits hätten die mich bei meiner damaligen Körperstatur sowieso nicht genommen, ich war dermaßen dürr.

Was das bei Dir auch schon eine frühkindliche Prägung?

Luci: Ich wollte immer Sängerin werden. In meinem Erstkläßlerzeugnis steht: Sie bereicherte die Stunden mit musikalischen Vorträgen. Ich wollte damals Opernsängerin werden, weil meine Ertern immer Klassik hörten. Ich kannte gar nichts anderes, bis ich 9 war und mein Bruder anfing, Punk zu hören.

Ist Musik das wichtigste in Eurem Leben geblieben?

Wir stellen alles hinter die Musik zurück. Mir sind eine Menge Beziehungen an der Musik gescheitert. Das Bedürfnis, mich darin auszudrücken, ist so notwendig wie ein Körperteil für mich.

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