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Politisch und unterhaltsam: „Mank“ von David Fincher auf Netflix

David Fincher zeigt in „Mank“ einen literatischen Rachefeldzug aus dem Bett heraus: die Entstehung des Drehbuchs zu „Citizen Kane“.

„Citizen Kane“ gilt als  der beste Film aller Zeiten. Jetzt hat David Fincher einen Film über die Entstehung des Drehbuchs zum Film gedreht. Nicht der Regisseur Orson Welles steht im Mittelpunkt – ganz im Gegenteil, er spielt nur eine Rolle am Rande –, sondern Herman Mankiewics, von allen nur Mank genannt. Er war der Autor des Drehbuchs. Er erhielt nicht nur als einziger des gesamten Teams einen Oscar für sein Werk, nach dem Dreh des Films arbeiteten er und Welles auch nie wieder zusammen. Noch mehr: Herman Mankiewics schrieb nach „Citizen Kane“ kein weiteres ganzes Drehbuch mehr, das verfilmt wurde. Doch vorher hatte Mank sich an zwei Personen gerächt: dem Medienmogul William Randolph Hearst und dem MGM-Chef Louis B. Mayer.

Mank: Trocken in der Einöde

David Fincher rückt in „Mank“ die acht Wochen in den Mittelpunkt, in denen das Drehbuch entstand. Herman Mankiewics wird nach einem Autounfall mit Bein im Gips in ein Haus in der kalifornischen Einöde verfrachtet. Dort soll der Alkoholiker trocken gehalten werden, damit er innerhalb kurzer Zeit abliefern kann. Fortan diktiert er vom Bett aus seiner Sekretärin die mehr als 300 Seiten in den Block. Wir haben das Jahr 1940, Rückblenden gehen zurück bis 1933, und Fincher kündigt sie an wie Szenen in einem Drehbuch:

Außen, MGM Studio – Tag – 1934 (Rückblende)

Das ist nur eines von vielen Stilmitteln, die nicht nur die Selbsreferenz des Films unterstreichen, sondern auch Zeitkolorit einfangen: So hat Fincher künstliche Rollenwechselzeichen rechts oben ins Bild eingebaut, die den Filmvorführern früher als Zeichen dafür galten, dass sie die nächste Filmrolle breithalten und bald starten sollten. Überhaupt soll Fincher sehr viel Geld in die Nachbearbeitung des Schwarzweißfilms gesteckt haben; das Ergebnis ist nahe an der Anmutung eines Films der 1940er-Jahre, Details werden die Filmnerds mit Sicherheit innerhalb kurzer Zeit zusammentragen. In diesem Setting lässt Fincher Herman Mankiewics saufen, schwadronieren und immer mehr Desillusioniertheit zelebrieren. Gary Oldman spielt diesen intellligenten, belesenen und die gesellschaftlichen Konventionen im zwischenmenschlichen Bereich nur zu gern missachtenden Menschen mit unglaublicher Sinnlichkeit. Oldman, der sich als Schauspieler schon lange auf historische Persönlichkeiten spezialisiert hat, zeigt, wie der liberale Mankiewics sich in den 1930ern politisch immer mehr nach links bewegt.

„Was ist ein Konzentrationslager?“

Es ist die Zeit, da in Kalifornien der linke Schriftsteller Upton Sinclair für die Demokraten in den Wahlkampf um den Posten des Gouverneurs zieht. Die gesellschatlichen Treffen bei Zeitungsmacher Hearst oder MGM-Chef Mayer werden ab 1933 immer politischer, denn Adolf Hitlers Wahl zum deutschen Reichskanzler lässt auch an der Westküste der USA niemanden kalt. Die Bücherverbrennung, die ersten Konzentrationslager (Mayer irritiert: „Was ist ein Konzentrationslager?“), aber auch die wirtschaftliche Depression in den USA werden diskutiert und von den Republikanern Hearst und Mayer im Fall Deutschland als Zeitgeistphänomen abgetan und im Fall USA als gefährlich eingeschätzt, weil die Demokraten in Person von Upton Sinclair die 1934er-Gouverneurswahlen gewinnen könnten. Herman Mankiewics bleibt mit seiner linksliberalen Meinung zunächst ein gern gesehener Gast bei Hearst. Doch je mehr Mankiewics mit dessen politischen Ansichten fremdelt, je mehr er Upton Sinclair liest und dessen Wahlkampfauftritte aus der Ferne beobachtet, desto mehr verschieben sich seine Positionen.

„Citizen Kane“ – Die große Rache

Das geschieht langsam und nicht immer offensichtlich. Doch 1934, als Sinclair die Gouverneurswahlen krachend verliert, kommt es zum großen Entfremden zwischen den Dreien. Zwei Jahre später hält er auf einer Party vor Hearst eine Rede, in der er – völlig betrunken – diesem den Spiegel vorhält mit einem frühen Text von Upton Sinclair über den Zeitunsmogul. Der vergleicht den jungen Hearst mit einem modernen Don Quijote, der im Alter alle seine Ideale aufgegeben habe. Doch Hearst führt Mank aus dem Raum und schmeißt ihn höflich, aber eisig raus.

„Mank“ ist die Geschichte dieser Entfremdung und die Geschichte davon, wie daraus das Drehbuch zu „Citizen Kane“ wurde. Orson Welles musste selbst Regie führen und auch die Hauptrolle übernehmen. Warum, das kann man noch mal ganz drastisch den letzten Szenen von „Mank“ entnehmen. Aus dem besten Film aller Zeiten wird so eine greifbare Geschichte, eingebettet in das politische und gesellschaftliche Geschehen der 1930er-Jahre. Am besten, man schaut sich unmittelbar nach „Mank“ noch einmal „Citizen Kane“ an.  jw

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