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Marc Höpfner

Die Gewalt der Eiswaffel

Das Buch lag lange Jahre in der Schublade. Erst die zunehmende Gewalt unter Jugendlichen ließ das Interesse der Verlage an Marc Höpfners Erstlingswerk steigen. Doch „Pumpgun“ ist auch jenseits des zeitgenössischen Bezugs von Bedeutung.

kulturnews: Ihren Roman prägt eine Einsamkeit, die sich unheimlich zäh über das Leben der Protagonisten legt. Waren Sie in Ihrer Jugend glücklich?

Marc Höpfner: Mir ging es wie Törleß in Musils Roman. Ich spielte in einem finsteren stillen Wald und fühlte mich verlassen. Das Schweigen der Dinge um mich herum kam mir wie eine Sprache vor, die ich nicht verstand. Später war mein höchstes Ziel, diese Sprache aufzuschreiben. Es war also eine sehr glückliche Jugend.

kulturnews: „Pumpgun“ ist das Destillat von ursprünglich 500 Seiten Text. Was haben Sie sich da vom Leib geschrieben und – viel wichtiger – gleichzeitig so artifiziell aufbereitet?

Höpfner: Kurz nach meinem 19. Geburtstag hatte ich einen schweren Autounfall. Als ich in einem Autowrack eingeklemmt wieder zu mir kam, sah ich Passanten mit der trägen Neugier von Fernsehzuschauern um zerstörte Autos und blutende Menschen herumstehen, Eiswaffeln in der Hand. Sie sahen einen Film. Das war das Ausgangserlebnis für „Pumpgun“, einen Text, den ich im selben Jahr begann und drei Jahre später beendete. Ein Buch über Jugendliche, für die die Wirklichkeit nur noch ein Fernsehbild ist. Etwas, das nur noch ästhetisch berührt, nicht mehr moralisch.

kulturnews: Ein wichtiger Verweis: Sie lassen den späteren Amokläufer ganz zu Beginn in Lermontows „Ein Kind unserer Zeit“ lesen. Welche Bedeutung haben die psychologischen Romane Russlands für Ihr künstlerisches Schaffen?

Höpfner: Michail Lermontow starb im Alter von 27 Jahren bei einem Duell. Während des Duells hielt er eine Mütze mit Kirschen auf dem Arm, aus der er mit der Hand, die die Pistole hielt, aß. Wenige Sekunden später war er tot. Hätte er ein längeres Leben gehabt, wäre er vielleicht noch größer geworden als Titanen wie Tolstoi oder Dostojewski. Petschorin, der Protagonist in seinem Buch „Ein Held unserer Zeit“ ist ein moralisch indifferenter Mensch, dessen Leben ziellos ist. Jede Generation hat diese einsamen Wesen hervorgebracht. Auch diejenige, die ich in Pumpgun beschreibe.

kulturnews: Alle männlichen Protagonisten sind schuldhaft in das Geschehen verstrickt. Ist Gewalt eine Geschlechterfrage?

Höpfner: Gewalt ist ein Phänomen unserer Gesellschaft, das viele Gesichter haben kann. Trotzdem glaube ich, dass Frauen Gewalt tatsächlich eher erleiden als ausüben.

kulturnews: Der Sprache der Bilder stellen Sie die Trägheit des Auges gegenüber. Wie stark ist die Macht der Bilder – des Fernsehens, des Kinos – in der heutigen Zeit wirklich?

Höpfner: Die Trägheit des Auges ist die Eigenart des menschlichen Sehorgans, die schnelle Folge von Einzelbildern, aus der ein Film in Wirklichkeit besteht, als fließende Bewegung wahrzunehmen. Das ist die Voraussetzung für die Macht des Mediums. Es wird immer genügend Menschen geben, die man darauf hinweisen muß, daß eine Schießerei im Fernsehen etwas völlig anderes ist, als eine Schießerei in der Nachbarschaft.

kulturnews: Sind Sie eigentlich Optimist?

Höpfner: In Orson Welles Film „The Lady from Shanghai“ wird ein Mann gefragt, ob er an den Weltuntergang glaube. Seine Antwort ist: Die Welt hatte einen Anfang, sie wird auch ein Ende haben. Das entspricht meiner Überzeugung. Alle guten und auch alle schlechten Dinge haben ein Ende. Das eigene Leben ist eine kurze Bewegung in der Zeit. Zu kurz um Pessimist zu sein.

kulturnews: Wovon wird Ihr nächstes Buch handeln?

Höpfner: „Cowboys and Angels“, eine Liebesgeschichte, ganz ohne Gewalt.

Interiew: Jürgen Wittner

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