Marco Tschirpke, warum covern Sie Prince?
Marco Tschirpke dichtet und spielt wie kaum ein anderer. Gleichzeitig ist der Dichter und Musikkabarettist der kurzen Form saukomisch.
Marco Tschirpke, die Lieder Ihres neuen Albums „Aliens“ sind erstaunlich lang. Keins kommt auf die gewohnten 30 Sekunden. Sind Sie jetzt unter die Zeitschinder gegangen?
Marco Tschirpke: (lautes Lachen) Das ist eine schöne Frage, weil alle Medienleute bisher nur rumgejammert haben, das sei alles viel zu kurz! Die Lieder sind vielleicht tatsächlich etwas länger als sonst, sie sind aber immer noch viel zu kurz für den üblichen Medienrummel.
Sie verweigern aber noch immer den Refrain?
Tschirpke: (lauernd) Ja?
Schön. Anderes Thema. Kleinkünstler, Kabarettist, Komiker: Welchen Beruf würden Sie sich selbst zuweisen? Und kommen Sie jetzt bitte nicht mit Tonsetzer!
Tschirpke: Der ist schon abgegriffen, ne? Also ich finde es eigentlich leichter, wenn man es als Tätigkeit formuliert. Dass man sagt: Ich schreibe Gedichte und Lieder. Dann ist alles umrissen.
Ich kenne mich mit Peter Hacks nicht so gut aus, bin aber mit der Neuen Frankfurter Schule groß geworden. Ist das Ihr Spannungsfeld, innerhalb dessen Sie agieren? Oder kommt da noch mehr hinzu?
Tschirpke: Ich muss gestehen, dass ich mit der NFS nicht sehr auf Du und Du bin. Ich bin damit nicht groß geworden. Das täuscht, dass der Leser zum Beispiel eine Nähe zu Robert Gernhardt heraushört. Ich kenne sein Werk gar nicht gut. Vielleicht ist das thematischen Überschneidungen geschuldet oder dem formalen Ansatz der Reimform.
Was jetzt aber noch als Drittes hinzukommt, ist die Musik, mit der die NFS nicht aufwartet. Wo liegt eigentlich Ihr Schwerpunkt: auf dem Dichten oder der Musik?
Tschirpke: In den letzten Jahren war es eher das Textliche. Das verschiebt sich immer mal so. Aktuell ist es ganz banal: Seitdem wir zwei Kleinkinder haben, kann das Dichten deshalb passieren, weil ich jeden Tag die Brut lüften muss draußen im Park. Dort kann ich notfalls was ins Telefon sabbeln auf die Diktierfunktion. Ans Klavier komme ich kaum.
Sie haben bei einem Konzert im Berliner Quasimodo zum Auftakt einen Song von Prince gespielt.
Tschirpke: Ja, genau, weil der da mal gespielt hat!
Welche musikalischen Einflüsse hatten Sie als DDR-Kind? Muss man trennen zwischen der Zeit vor 1989 und danach?
Tschirpke: Muss man auf gar keinen Fall, nein. Ich bin schon mit einer großen Liebe zu Bach in der Schulzeit groß geworden. Und dann kam in meiner Pubertät wirklich Prince hinzu. Und als dritte Schnittmenge tatsächlich nach 1989 erst die brasilianische Musik. Aber nicht Samba und so Gedöns, sondern Música Popular Brasileira. Wie nennt man‘s? Akademische Volksmusik! Musiker, die es irgendwie konnten, die aber auf die Dörfer gegangen sind und geguckt haben: Was kann man da benutzen? Bach, Prince, Música Popular Brasileira: das sind so die drei Grundpfeiler meiner musikalischen Sozialisation.
Ein Lied Ihres neuen Albums, „Atlantis“, ist eine Reminiszenz an das verkannte Land DDR. Wie erinnern Sie sich an die DDR?
Tschirpke: Ich hoffte, dass man das dem Lied entnehmen kann. Dass ich das positiv sehe. Dass viele Probleme heute langweilig erscheinen, weil sie ansatzweise schon mal gelöst waren für die DDR. Das ermüdet so ein bisschen für die Gegenwart. Ich hab eine positive Konnotation, was diesen Staat angeht, und glaube, dass ich dieses Bild im Allgemeinbewusstsein noch etwas korrigieren wird in (lacht kurz) den nächsten 100 Jahren. Weil es immer noch eine große Schieflage hat. Ich finde diese ganz platten Gleichmachereien z. B. zwischen Hitler und Stalin schlimm. Ein differenzierteres Bild von der DDR müssten beinhalten, dass die DDR in ihren verschiedenen Jahrzehnten vollkommen andere Möglichkeiten bot. Auch für die Menschen. Auch was künstlerisch möglich war, war sehr unterschiedlich in den einzelnen Phasen. Und dass sie Feinde hatte, wird ja heute weggeblendet. Dass sie nicht aus Jux und Tollerei einen natürlich ganz blödsinnigen Apparat aufgebaut hat. Das muss man gar nicht ausblenden, um zu sehen: Eine gewisse materielle Gleichheit der Menschen verhindert schon, dass sie sich gegenseitig überfallen und berauben.
Aber Sie glauben doch nicht im Ernst, dass der Fall der DDR auf den Mangel an Bananen zurückzuführen sei, wie eins Ihrer Lieder in der Schlusszeile behauptet. Man hätte einfach viel früher Veränderungswünschen nachgeben müssen.
Tschirpke: Na ja. Hätte man den Wünschen früher nachgegeben, wäre das Ende der DDR schon viel früher dagewesen. Wenn die Reform gefordert wurde innerhalb des sozialistischen Landes, dann bedeutete es eigentlich immer einen Machtverlust für die eigentliche Staatspartei und im Grunde den Verfall des Staates. Ein solches Staatsgefüge zu reformieren, war, so fürchte ich, kurzfristig gar nicht möglich. Und alle, die an diesem Ast gesägt haben, waren sich dessen überhaupt nicht bewusst. Wer auf die Straße ging und den demokratischen Sozialismus verlangte, war nicht klar, dass er damit den Untergang einleitet.
Im Gedicht „Der Komiker und sein Vater“ fragt Ihr Vater, ob er Sie in Ihrer Jugend vernachlässigt habe. Ist das authentisch?
Tschirpke: Ja. Mein Vater wurde durch den Umbruch – durch die Konterrevolution, um es mal deutlich zu sagen! – arbeitslos, wie auch meine Mutter, er musste vorher aber noch den eigenen Betrieb abwickeln unter dem Zwang der Treuhand. Das waren schon große Verwerfungen, die da statthatten, in allen Familien.
Die Antwort auf die Frage gibt der Künstler Tschirpke: „Schon, aber ich kann davon leben.“ Wie definieren Sie Ihre Folgeschäden? Haben Sie gelitten in der Zeit nach 89?
Marco Tschirpke: Das war eine Grundsituation, die irgendwie schlamasselig wirkte und die vielleicht eine bis heute anhaltende Skepsis begründet. Eine starke Distanzierung zu dem, was gegenwärtig so passiert.
„Ich hab keine Meinung. Ich habe ein Weltbild und neig zu Verneinung.“ Wir haben beim Thema DDR schon darüber gesprochen, aber können Sie mir Details zu Ihrem Weltbild sagen?
Tschirpke: Es ist ein Hacksianisches Weltbild. Bei Peter Hacks ist es im Grunde, dass er sagt: Die Zeiten, in denen die Kunst die besten Möglichkeiten hatte und hat, sind die, wo ein ausgewogenes Kräfteverhältnis zwischen den gesellschaftlichen Schichten herrscht. Ich glaube, das ist im Moment nicht der Fall. Etwas schärfer formuliert: Wenn der gesellschaftliche Entwurf der Staatsväter etwas fortschrittlicher wäre, dann würde ich möglicherweise Kunst machen. Können. Dürfen. Und davon leben können. Gegenwärtig bin ich gezwungen, Kleinkunst zu machen. Ob ich will oder nicht: Ich muss unterhalten. Ich versuche das natürlich schon nach meinen Ansprüchen auszurichten, aber der Zwang ist schon da. Es ist heute schwer möglich, mit Nachdenklichkeiten auf die Bühne zu gehen. Es funktioniert schlichtweg nicht!
Das nehme ich Ihnen jetzt nicht ganz ab. Ich habe Sie mehrfach auf der Bühne erlebt, und Sie haben die Tendenz zum Unterlaufen jeglicher Erwartung. Von allem. Und darauf würden Sie wirklich verzichten, wenn die gesellschaftliche Situation eine andere wäre? Das finde ich fast schon wieder eine Entwertung dessen, was Sie aktuell tun.
Tschirpke: Das ist natürlich eine Spekulation und eigentlich nicht absehbar. Ein schwieriger Punkt.
Was nervt Sie eigentlich am Applaus? Meine Vermutung: Seine Länge. Das Publikum soll schneller kapieren, honorieren und Sie wiederum weitermachen lassen.
Marco Tschirpke: Ehrlich? Das ist eher Unsicherheit auf meiner Seite. Ich hab nichts gegen Applaus. Er ist als Geräusch jetzt nicht sehr attraktiv. Und wenn das Publikum wieder zurück findet zur Konzentration, ist es auch gut. Möglicherweise bin ich aber durch zweierlei ein gebrannte Kind. Vor ungefähr zehn Jahren gab es ein paar Auftritte, wo die Amüsierbereitschaft so hoch war, dass nur noch gegickelt wurde, was meinen Spielraum sehr einschränkte. Und dann war ich als junger Künstler ein paar Mal in „Nightwash“, so Knacki Deuser gar nicht mal uncharmant moderierte, die Leute aber jedes Mal auf Befehl klatschten. Ich glaube, dass das ein paar Spürchen hinterlassen hat bei mir.
Gehen Sie denn gern auf Bühnen wie „Nightwash“ oder in den Quatsch Comedy Club? Es gehört ja den zu Pflichten des Kleinkünstlers.
Marco Tschirpke: Pflicht? Na ja. Ich müsste das nicht machen. Aber ich finde es interessant, weil ich dieses Publikum kaum habe, wenn ich solo auftrete. Da ist es interessant zu gucken: Wie weit kann ich jemanden noch auf meine Seite holen? Ich tue das nicht ungern, das wäre gelogen. Ich bin da auch abhängig von der Tagesform. Vergangenes Jahr war eine Gruppe bierseliger Männer in einer Vorstellung, und plötzlich rief einer von denen nach vorne: Ey, singst du auch mal ein Lied zu Ende? Der hat von mir ne Antwort bekommen, außerdem war das Publikum auf meiner Seite. Aber im Grunde ist genau dies wirklich die Rezeptionsschwierigkeit, die entsteht für einen Teil der Leute: warum jetzt alles schon gesagt ist.
Apropos Missverständnis: Wie kam es, dass Sie mit Ihrem letzten Gedichtebuch auf der Spiegel-Bestsellerliste landeten? Gehen Gedichte auf einmal so gut?
Tschirpke: Das ist mir auch ein Rätsel. Ich glaube aber, dass das einfach der guten Arbeit des Ullstein-Verlags zu verdanken war. Ullstein hat von vornherein gesagt: Wir wollen das Buch geschenkig. Ich hatte mit dem Layout ja auch äußerste Schwierigkeiten, und es war von den Entwürfen, die mir vorgelegt wurden, noch das am wenigsten schlimme! So ist die Verpackung tatsächlich etwas irreführend, aber letztlich war das dieser Spagat: Will man die Lyrikfreunde erreichen – alle drei –, oder will man mit einer kleinen Mogelpackung ein paar mehr Leute erreichen.
Über welche Künstlerin oder welchen Künstler konnten Sie zuletzt lachen?
Tschirpke: Über Tomas Pigor. Und zwar war es das Programm Volume 6 von Pigor & Eichoren, nicht das Spezial. Das ist mit Abstand das Beste, was ich – auch an intellektuellen Möglichkeiten – auf der Bühne umgesetzt fand. Das war wirklich ein Genuss von vorne bis hinten. Wenn jemand mit dem Kopf dabei ist und intelligent und das dann auch noch umsetzen kann, dann kann ich das sehr genießen.
Und von welchem Künstler konnten Sie zuletzt etwas lernen?
Marco Tschirpke: Na wenn das Lernen mal so bewusst erfolgte, ich fürchte ja, dass das gar nicht der Fall ist. Na, sagen wir mal so: Es gibt bei Sebastian Krämer so eine Sache, die man lernen kann, nämlich die, ne klare Setzung zu machen: Ich sing jetzt einfach mal ein ernstes Lied. Punkt. Ich finde stark, wie er das durchzieht, mit einer Sicherheit, die mir teilweise einfach abgeht. Das was Sie vorhin sagten, dieses Unterwandern, das ist ja schon pathologisch. Die ernsteren Sachen sind für mich schon schwierig, obwohl sie mir einen neuen Horizont eröffnen könnten.
Sagten Sie „könnten“?
Marco Tschirpke: Ja. „Ich finde, man könnte.“
Interview: Jürgen Wittner