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„Ich weiß, dass ich anders bin.“

Mariza
(Foto: Miguel Ângelo)

Wenn die amtierende Königin des Fado ihrer Vorgängerin Tribut zollt, drängen sich Vergleiche auf – nur nicht für Mariza selbst.

Mariza, für dein neues Studioalbum „Mariza canta Amàlia“ hast du dir Songs der legendären Fado-Sängerin Amàlia Rodrigues vorgenommen. Wie wichtig ist sie für deinen Bezug zum Fado?

Mariza: Amàlia ist die Stimme eines Landes und einer Ära. Ich habe zwar schon mit fünf damit angefangen, Fado zu singen, aber da hatte ich noch keine Ahnung davon, wer sie ist. Mein einziger Berührungspunkt mit ihrer Musik war lange Zeit nur eine CD ihrer Stücke, auf der sie von anderen Sängern interpretiert wurden. Ich habe erst sehr viel später herausgefunden, wer sie ist – als Teenager, mit 15 oder 16.

Und wie hast du sie schließlich doch noch entdeckt?

Mariza: Ich bin in der Innenstadt von Lissabon unterwegs gewesen und habe da ihren Song „Barco Negro“ aus einem Plattenladen gehört – woraufhin ich mich sofort verliebt habe. Ich habe den Besitzer gefragt, wessen Stimme das ist, und er war völlig baff: Du weißt wirklich nicht, wer das ist? Das ist Amàlia! Mein Vater liebt den Fado, also bin nach Hause gegangen und wollte ihm diese atemberaubenden Sängerin zeigen. Er kannte sie natürlich längst – sie ist schließlich eine Ikone. Aber mein Vater mochte Männerstimmen lieber, deshalb lief in der Bar meiner Eltern auch immer nur Fado von Männern und nie Amàlia.

Hast du da schon gewusst, dass du ihre Songs irgendwann singen wirst?

Mariza: O nein! Ich hatte ja keine Ahnung, dass das alles passieren würde – die Alben und die Touren, dass die Menschen mir zuhören würden. Ich habe lange Zeit überhaupt nicht mehr gesungen. Die Idee, Amàlias Songs zu covern, kam mir zum ersten Mal während der Arbeit an meinem dritten Album „Transparente“ mit dem Produzenten Jacques Morelenbaum, der jetzt auch dieses Album produziert und arrangiert hat. Dann wusste ich zwar, dass ich es irgendwann machen würde – aber nicht, wann.

Musstest du erstmal warten, bis du dich der Aufgabe gewachsen gefühlt hast?

Mariza: Ich habe nichts abgewartet, ich denke im Allgemeinen nicht viel über meine Alben nach. Irgendwann habe ich mir einfach gedacht: Jetzt mache ich’s. Und es passt gut, denn dieses Jahr ist das 20. Jubiläum meines ersten Albums, und Amàlia hätte ihren 100. Geburtstag gefeiert.

Amàlia hatte eine lange Karriere: Ihre ersten Stücke sind 1945 erschienen, und sie hat bis kurz vor ihrem Tod 1999 noch Musik aufgenommen und veröffentlicht. Es war bestimmt schwierig, bei dieser Fülle an Material eine Auswahl zu treffen.

Mariza: Es war wirklich zäh. (lacht) Ich bin mit über zwanzig Songs für die Sessions nach Brasilien gefahren – und ich hätte noch mehr Songs mitbringen können! Ich habe mich vor allem für Songs entschieden, deren Texte mich besonders berührt haben und an die sich auch heute noch jeder erinnert.

Hast du je an eurem Vorhaben gezweifelt?

Mariza: Ja, die ganze Zeit. Erst als wir zusammen im Studio gewesen sind – nur mit der Kernbesetzung aus Klavier, Gitarre und Kontrabass –, war ich mir sicher, dass wir alles richtig machen. Jacques ist da eine große Hilfe: Bevor ich ihn getroffen habe, habe ich es gehasst, im Studio zu sein.

Das überrascht mich. Was hat dir im Studio gefehlt?

Mariza: Ich liebe es, auf der Bühne zu sein, ich brauche den Austausch mit den Menschen und ihre Energie. Bei den ersten beiden Alben hatte ich das Gefühl, mein Herz steckt nicht in der Musik – dass etwas im Studio auf der Strecke bleibt. Bei den Aufnahmen zu „Transparente“ habe ich von Jacques gelernt, die Musik anders zu erkunden. Das hat mir auch dabei geholfen, Amàlias Songs zu meinen zu machen.

Ein Teil davon war es, sie mit einem Orchester auszustaffieren.

Mariza: Genau. Ich wollte, dass sie zeitlos klingen. Sie sollten genauso gut vor 20 Jahren oder irgendwann in der Zukunft entstanden sein können.

Glaubst du denn, du hättest Amàlias Songs auch schon vor 20 Jahren singen können?

Mariza: Ich glaube nicht. Ich habe vor Kurzem wieder mein erstes Album gehört – was ich sonst nie mache. In der Pandemie macht man ja Sachen, die man sonst nicht für möglich gehalten hätte. Ich klinge so unschuldig, so kindisch, so zerbrechlich! Meine Stimme ist jetzt ganz anders, sie hat eine Reife und eine Sicherheit, die ich vor 20 Jahren sicher nicht hatte. Ich weiß genau, wie ich singen will. Ohne diese Erfahrung würde den Stücken etwas fehlen.

Du giltst vielen als Erneuerin des Fado. Was unterscheidet dich von Amàlia?

Mariza: Wir sind ganz unterschiedliche Menschen! Wir leben in unterschiedlichen Zeiten, wir sehen die Dinge anders, haben andere Erfahrungen gemacht. Nimm nur den Song „Lagrima“ als Beispiel. Amàlia singt ihn mit so viel Melancholie, so viel Drama. Auch in meiner Version gibt es Melancholie, aber da ist auch etwas Schönes. Der Text handelt von einer unerwiderten Liebe, aber ich habe meiner Version einen helleren Ausblick verliehen. Es ist eine unerwiderte Liebe – aber es ist Liebe.

Bei allen Unterschieden seid ihr aber beide bedeutende Musikerinnen. Ist es dir je in den Sinn gekommen, dass du in 100 Jahren mit Amàlia in einem Atemzug genannt wirst?

Mariza: Oh mein Gott! (lacht entsetzt) Darüber habe ich noch nie nachgedacht.

Nimmst du dich gar nicht so wahr?

Mariza: Ich weiß ja nicht … (lacht) Gut, es gibt auch Menschen, die meine Songs singen, und Fado ist nicht mehr dasselbe wie vor 20 Jahren. Fadosängerinnen hatten bisher kein blondes Haar, haben auf der Bühne keine Rhythmusinstrumente gespielt, haben nicht mit Orchestern gesungen: Ich weiß, dass ich anders bin – wahrscheinlich auch, weil ich gemischter Herkunft bin und eine mosambikanische Mutter habe. Ich bin in Afrika geboren und noch sehr mit meiner Heimat verbunden: Ich höre so viel unterschiedliche Musik, die mich beeinflusst. Wenn Menschen in Zukunft über die Geschichte portugiesischer Musik und des Fado sprechen, würde ich mir wünschen, dass ich darin als eine Frau auftauche, die Erwartungen geändert hat.

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