Chaos, Liebe, Hoffnung: Mark Bérubé von Kliffs im Interview
Das in Berlin lebende Indiepop-Duo Kliffs orientiert sich mit seinen Songs am Briefformat: Ehrlich bleiben, auch wenn es schmerzhaft wird.
Mark, auf eurem zweiten Album basiert jeder Song auf einem Brief. Also geht es um Dinge, die du schon immer sagen wolltest, aber es von Angesicht zu Angesicht nicht hinbekommen hast?
Mark Bérubé: Die Songs sind natürlich nicht immer direkte Briefe, sondern oft einfach Stellungnahmen zu etwas und jemandem. Manche Dinge sind auf dem Papier einfacher. Kae Tempest hat mal geschrieben, dass wir am besten sind, wenn wir meinen, was wir sagen. Darum geht es: Die Songs versuchen, etwas sehr Bedeutsames und Ehrliches zu sagen, auch wenn es schmerzhaft ist.
Wie war es denn für dich, dass deine persönlichen Briefe für alle öffentlich wurden, auch für die Personen, an die sie gerichtet waren?
Bérubé: Na ja, also es wissen nicht alle, wenn ein Lied über sie geht (lacht). Aber ich denke, wenn etwas so wahrhaftig ist, dann hat es diese verrückte Fähigkeit, mit Menschen zu resonieren, selbst wenn der Brief gar nicht für sie bestimmt war. Ich jedenfalls habe dieses Gefühl, wenn ich auf Gedichte, Bücher oder Lieder stoße und Passagen, die extrem ehrlich sind. Das ist das Ziel hier. Es ist nicht unbedingt nur für die Personen, an die der Brief adressiert ist.
Also könnte man sagen, dass du die Briefe auch für dich geschrieben hast und nicht unbedingt, damit eine andere Person sie liest?
Bérubé: Es ist ein bisschen von beidem. Für mich entstehen Songs auf diese Art. Ich schreibe, weil ich etwas Intensives empfinde. Das finde ich interessant daran. Ich denke, du kannst nur aus starken Gefühlen heraus kreieren. Ansonsten erschaffst du nur ein Lied für eine Fabrik. Das kann ich auch, ich weiß wie man eine Melodie schreibt, wie man eine Struktur schafft, ich weiß wie man einen Song schreibt, aber das ist nicht das, was mich interessiert.
Du und Kristina seid ein Duo. Schreibt ihr eure Songs zusammen?
Bérubé: Ab und an haben wir eine Idee, an der wir gemeinsam arbeiten, aber meist habe ich einen Vorschlag und bringe ihn zu ihr. Sie ist definitiv die beste Person, mit der ich je zusammenarbeiten durfte. Ihre Fähigkeiten ergänzen meine wirklich sehr gut. Sie ist großartig darin, sich Farben und die feinen Details eines Songs auszudenken. Ich sehe eher das Gesamtbild, sie die kleinen Bilder. Und sie kommt aus der klassischen Musik, sie ist Cellistin. Die Erfahrungspalette, aus der sie auswählt, ist eine ganz andere.
Dieses Album hat euch gezeigt, dass ihr Musik machen wollt, trotz der Schwierigkeiten für Künstler:innen in den letzten beiden Jahren.
Bérubé: Ich spiele seit 2007/2008 mit Kristina zusammen. Seit 2003/2004 bin ich auf Tournee. Da gab es eine Menge Höhen und Tiefen, wie jede:r Selbstständige sie kennt. Ich habe bereits vor ein paar Jahren für mich festgestellt, dass es das ist, was ich tun möchte, egal, was passiert. Auch als Corona kam, gab es für mich nie Zweifel, wenn überhaupt hat es mich noch mehr bekräftigt. Wenn du etwas in dir trägst, dann ist das einfach so. Und es ist irgendwie auch ein Geschenk würde ich sagen. Denn du weißt, das ist die eine Sache, die einfach immer da sein wird.
Ein zentraler Song ist „Believer“, in dem es darum, Hoffnung in einer Welt zu finden, in der schlimme Dinge geschehen.
Bérubé: Meiner Meinung nach gibt es viele verschiedene Definitionen von Hoffnung. Für mich ist Hoffnung vor allem ein Werkzeug, das du zu deinem Vorteil nutzt. Wenn die Dinge am Boden sind, brauchst du Licht. Leonhard Cohen hat in „Anthem“ den Riss besungen, der das Licht durchlässt. Darum geht es auch in „Believer“. Die Strophen sind irgendwie düster und unsicher, aber immer wieder kehrt der Chorus mit einer starken Liebe und dieser Hoffnung zurück.
„Helmets“ klingt dagegen nach einer Art Aufstand, der in Chaos mündet. Das Lied endet ja auch mit einem Schuss.
Bérubé: Der Song ist inspiriert vom großen WTO-Protest im Jahr 1999, der auch „Battle of Seattle“ genannt wird. Wir waren etwa 40 000 Demonstranten, als dort nachmittags das Chaos ausgebrochen ist. Ich erinnere mich noch ganz genau, wie ich auf der Straße gestanden habe – und plötzlich sehe ich einen Militärpanzer auf mich zufahren. Müllcontainer haben gebrannt, Menschen haben Dinge geworfen, die Polizei hat Pfefferspray über unsere Köpfe geschossen – es war einfach die Hölle. Tausende haben diesen Wunsch geteilt, etwas Gutes zu tun. Doch dann gibt es ein paar wenige, die gewalttätig werden, und alles gerät außer Kontrolle. Die guten Momente werden geraubt. Ich möchte nicht sagen, dass das Stück auf der Makroebene eine Botschaft hat, aber es steckt sehr viel in den Details.