Mark Lanegan
Die wilden Jahre des Mark Lanegan waren wirklich wild. Doch der Plan des kalifornischen Sängers, erst einmal die 50 zu erreichen, ist gar nicht mehr so unwahrscheinlich. Dabei helfen könnte ein Muskelmann aus der Steiermark.
Dafür, dass Mark Lanegan erst vor 24 Stunden den Schrecken seines Lebens gekriegt hat, sieht er schon wieder sehr entspannt aus. Flughafen Paris; Lanegan ist dabei, das Gepäck für den Weiterflug nach Hamburg aufzugeben – und vermisst plötzlich sein Notebook. Neue Songs, Texte, persönliche Dinge: alles auf der Festplatte. Ohne Sicherungskopie. Doch dann die Entwarnung – das Gerät liegt im Hotel.
„Wäre schon verdammt ärgerlich gewesen, meinen Computer zu verlieren“, nuschelt er mit einem Streichholz zwischen den ramponierten Zähnen. „Aber alles auf der Welt ist ersetzbar … außer deinem Leben.“
So gleichmütig war der Mann nicht immer. Früher, als Sänger der Grunge-Pioniere Screaming Trees aus Seattle, ließ er kaum Gelegenheiten aus, den bösen Rock-Buben zu mimen. Meist stand er sturzbetrunken auf der Bühne und lallte die Songtexte runter – wenn er nicht gerade düster blickend über die Bretter stakste und den Einsatz verpasste. „Eine böse und schmerzhafte Zeit“, erinnert er sich, und das sehr ungern. „Diese ganze Verachtung und der Lebenshass, die kaputte Beziehung innerhalb der Band, für die ich bestimmt zu 50 Prozent verantwortlich bin …“
Trotzdem hält sich Lanegans Bedauern über die verlorenen Jahre in Grenzen. Er findet es eher lustig, mit fast 40 noch immer derart quietschfidel herumzulaufen. „Bei dem, was wir uns damals so alles reingetan haben, müsste ich längst tot sein“, sagt er, und sein Lachen erstickt in einem Krächzen. Dabei fing alles gut an. Mitte der 80er fanden die Sreaming Trees in Lanegans dräuendem Bariton die ideale Stimme für ihr Amalgam aus Doors-lastiger Psychedelia, Hardrock und Punk. Ein Sound, der später als Grunge Geschichte schrieb. Majorvertrag und Welttourneen waren der Lohn, doch schließlich riss der Strudel des Erfolgs die Band in Stücke, und Lanegan rettete sich in eine passable Solokarriere als Folkie und Singer/Songwriter.
Doch damit ist jetzt Schluss. Sein neues Band-Album „Bubblegum“ schlägt härtere Töne an: verzerrte Gitarren, Rückkopplungen, Industrial-Sounds. Nur die sehnsuchtstrunkenen Melodien klingen noch vertraut. Sind das die Früchte seiner zwei Jahre als Mitglied der Semi-Supergroup Queens Of The Stone Age?
„Natürlich hat das abgefärbt“, sagt Lanegan, „aber hauptsächlich fehlte mir bei den ruhigen Platten die Herausforderung. Hätte ich nicht aufgehört, den bequemen Weg zu gehen, wäre ich nicht mehr ehrlich zu mir selbst gewesen. Und das“, raspelt Lanegan, der inzwischen das Streichholz gegen eine Zigarette getauscht hat, „ist der Tod jeder Kreativität.“
Das Rauchen ist übrigens das letzte Laster, das ihm aus seiner wilden Zeit blieb. Camel ohne, 40 Stück am Tag. Gouverneur Schwarzenegger könnte das ändern. „Spätestens, wenn sie bei uns in Kalifornien das Rauchen komplett verbieten“, grinst Lanegan, „dann höre auch ich auf.“ Damit er die 50 noch erlebt.
Karsten Witthoefft