Sonneborn: „310 Arschlöcher im Parlament“
Martin Sonneborn saß als Vertreter der Satirepartei Die Partei im EU-Parlament. Im Interview mit kulturnews erzählt er, wie man mit den Grünen ernsthaft Politik macht.
Martin Sonneborn saß als Vertreter der Satirepartei Die Partei im EU-Parlament. Zwischen Faschisten und Nationalsozialisten fühlte er sich dort als Beobachter pudelwohl. Im Interview mit kulturnews erzählt Sonneborn, wie man mit den Grünen ernsthaft Politik macht.
Herr Sonneborn, was hat der Satiriker Sonneborn nach knapp fünf Jahren im EU-Parlament gelernt?
Martin Sonneborn: Dass ich nicht der verhaltensauffälligste Parlamentarier bin. Ich habe außerdem gelernt, dass das Konstrukt „Europäische Union“ formal funktioniert, dass es allerdings in fast allen Führungspositionen mit den falschen Leuten besetzt ist.
Konnten Sie was daran ändern?
Sonneborn: Nichts. Ich schreibe mir zwar auf die Fahnen, dass ich unseren alten Chef Martin Chulz (Anmerkung d. Red.: Sonnenborn spricht Martin Schulz konsequent so, wie Schulz selbst das sch ausspricht) degradiert und nach Deutschland zurückgeschickt habe, aber das war ich natürlich nicht allein. Ich hatte nicht den Anspruch, etwas zu verändern, ein einzelner Abgeordneter hat hier keine großen Möglichkeiten, Politik zu gestalten. Das können nicht mal die kleineren deutschen Parteien wie Grüne und Linke.
Woran liegt’s?
Sonneborn: An der GroKoHaram, einer ebenso unseligen großen Koalition wie wir sie in Deutschland haben. Außerdem daran, dass die Sozialdemokraten keine sozialdemokratische Politik machen und sich stattdessen den Konservativen andienen. Das ist fatal.
Sie unterlaufen den politischen Betrieb immer wieder mit satirischen Aktionen. Was in der Öffentlichkeit zu kurz kommt, ist die Ernsthaftigkeit, mit der Sie im EU-Parlament unter dem Deckmantel der Satire agieren. Was ist im Zweifel für Sie wichtiger?
Sonneborn: (lacht) Natürlich pflege ich, weil es mir Spaß macht, das Image des faulen Europaparlamentariers, der hier das bedingungslose Grundeinkommen in erheblicher Höhe testet und seit viereinhalb Jahren keine Nachteile erkennen kann.
Geht es denn auch etwas ernster?
Sonneborn: Ich überzeichne das schon ein bisschen. Als ich das Buch geschrieben habe, konnte ich feststellen, dass ich doch relativ viel tätig war.
Trotz Ihres Vorsatzes, immer abwechselnd mit Ja und Nein abzustimmen, machen Sie ernsthaft Politik, z. B. Bei der ePrivacy-Verordnung. Da sorgten Sie auf Bitte der Grünen unter Zuhilfenahme der Stimme des abwesenden NPD-Abgeordneten Udo Voigt für eine denkbar knappe Mehrheit im zuständigen Ausschuss. Ist der Satiriker Sonneborn zum Realpolitiker geworden?
Sonneborn: Nein, die Gefahr besteht nicht. Allerdings verfolge ich schon politische Ziele mit meinen satirischen Mitteln. Aber zur Abstimmung: Hinterher hat sich der Fraktionsgeschäftsführer der CDU/CSU aufgeregt und gesagt, es könne nicht sein, dass ein Politclown europaweite Entscheidungen trifft. Das ist ein sehr interessantes Verständnis von Demokratie, denn schließlich habe ich die Entscheidung, eine Datenschutzrichtlinie einzuführen, ja nicht ganz alleine getroffen. Außerdem gilt: Wenn auch CDU/CSU abwechselnd mit Ja und Nein stimmen würden, wäre das sicher kein Nachteil für die EU.
Wie lange hat es gedauert, bis die Grünen oder die Linken Sie als ernsthaften politischen Partner akzeptierten?
Sonneborn: O, ich weiß nicht, ob das schon passiert ist. Ich bin gerne bereit, meine Stimme zu geben, das ist bekannt, und sie fragen auch gerne an, wenn es knapp wird. Aber ich glaube nicht, dass ich ernst genommen werde hier von den Kollegen.
Was sehen Sie neben der ePrivacy-Verordnung als wichtigste Entscheidung in der ablaufenden Legislaturperiode?
Sonneborn: Es gibt einige, die mich sehr gestört haben. Zum Beispiel die, den Einsatz von Glyphosat zu verlängern. Artikel 13. Und die Versuche, TTIP unter neuem Namen unter Ausschluss der Öffentlichkeit mit den Amerikanern weiter zu verhandeln.
Und positive Erinnerungen?
Sonneborn: Was mich am meisten beeindruckt hat, war tatsächlich eine Abstimmung, die ich mitentschieden habe, und zwar zur Seenotrettung. Das Europäische Parlament stärkt darin Seenotrettern lediglich moralisch den Rücken: „Das Parlament bestätigt, dass es nach dem Seenotrettungsabkommen verpflichtend ist, Menschen in Seenot zu retten.“ Viel mehr wird nicht gesagt, und diese Feststellung ist mit 312 zu 310 Stimmen angenommen worden. Hätte ich dagegen gestimmt, wäre sie abgelehnt worden. Das hat mir zwei Wochen schlechte Laune gemacht, weil es bedeutet, dass im Parlament 310 Arschlöcher sitzen, die gegen eine moralische Unterstützung der Menschen stimmten, die Menschenleben retten.
Interview: Jürgen Wittner
CHECKBRIEF
NAME Martin Sonneborn
GEBOREN 1965 in Göttingen
WOHNORT Brüssel und Berlin
STUDIUM Publizistik, Journalistik, Politikwissenschaft
BERUF Journalist, Satiriker, Politiker
TITANIC Chefredakteur 2000–2005
SATIREPARTEI DIE PARTEI Bundesvorsitzender seit 2004
EU-PARLAMENT Parlamentarier seit 2014
AKTION Verkauf von Geld. „100 Euro für 80 Euro“ war eine satirische Aktion von Die Partei, um staatliche Wahlkampfhilfe zu erhalten. Die Aktion war eine Antwort auf die AfD, die Gold verkaufte, um Wahlkampfhilfe zu erhalten. Die Partei erreichte mit der Aktion, dass das Parteienfinanzierungsgesetz geändert wurde. Nicht die AfD, wohl aber Die Partei wird seitdem von der Bundestagsverwaltung juristisch belangt; sie soll knapp 400 000 Euro Strafe zahlen. Bis jetzt wehrt sich die Satirepartei erfolgreich dagegen.
AKTUELLES BUCH „Martin Sonneborn geht nach Brüssel: Abenteuer im Europaparlament“ Dieses Buch ist eine hervorragende Analyse des Politbetriebs in Brüssel und gleichzeitig unheimlich komisch. Sonneborn Blick auf den Politbetrieb ist immer kritisch-distanziert, aber nie von Überdruss geprägt.