Maxim Gorki Theater: Tschechows „Drei Schwestern“ sind drei Männer
Am Maxim Gorki Theater macht Christian Weise aus Tschechows „Drei Schwestern“ drei Kerle. Wir fragten ihn, warum.
Christian Weise, sie tauschen als Regisseur am Maxim Gorki Theater die Rollen. Frauen in Männerrollen sind auf der Theaterbühne schon lange nichts Ungewöhnliches mehr. Männer in Frauenrollen dagegen schon.
In meinen Inszenierungen habe ich oft die Gender getauscht. Mir gefallen die Perspektivwechsel und Verschiebungen, die dadurch entstehen.
Warum gerade in diesem Stück?
Unser Ausgangs- und Bezugspunkt für diese „Drei Schwestern“ ist Thomas Langhoffs Inszenierung hier am Gorki von 1979 und ihre filmische Umsetzung für das Fernsehen Anfang der Achtzigerjahre. Es galt, eine größtmögliche Distanz zu dieser alten Verfilmung herzustellen, sowohl was Diversität als auch Geschlecht angeht. Vielleicht ist bei uns nicht die Garnison abgefahren, sondern die drei Schwestern mussten aufbrechen. Die zurückgebliebenen Männer warten, und sie erinnern sich nunmehr an ein altes Stück, an eine alte Welt, eine Welt „davor“. Sie sehen den alten Film, spielen mit ihm, vor ihm, durch ihn.
Und deswegen wollten Sie es zu Themen der Gegenwart befragen?
Anlässlich des 70-jährigen Bestehens des Gorki Theaters war es mir wichtig, auf die Geschichte des Hauses zurückzuschauen. In den Erinnerungen tauchten immer wieder Langhoffs „Drei Schwestern“ auf. So entstand die Idee zu diesem Reenactment. Durch das Reenacten des Filmes machen wir diesen wieder zu Theater und versuchen, eine Brücke von damals nach heute zu spannen. Dem Stillstand der späten DDR-Jahre steht eine sich ständig rasant wandelnde Gegenwart gegenüber. Was sich in diesem Zwischenraum auftut, erzählt mir sehr viel über unsere heutige Welt.
Tschechow selber sah seine Werke auch als heiter und grotesk an. Wie ist Ihr Tschechow ausgeprägt? Ist er durch die rein maskuline Besetzung nicht automatisch heiter und grotesk?
Tschechow hat diesen gnadenlosen Blick auf den Menschen, der in seinen Unzulänglichkeiten doch wirklich einfach komisch ist. Er sieht das Leben als Komödie. Das entspricht ganz meinem Empfinden. Mit dem Geschlecht der Figuren oder der Darsteller:Innen hat das für mich wenig zu tun.
Baron Tusenbach sagt im Stück: „Etwas Riesenhaftes rollt auf uns zu, etwas Ungeheuerliches, ein mächtiger Sturm wird unserer Gesellschaft die Trägheit aus den Knochen schütteln und sie aus allen Fugen krachen lassen.“ Das klingt irgendwie nach unserer aktuellen politischen und gesellschaftlichen Lage …
Werschinin sagt zu den Schwestern: „Nehmen wir mal an, es gäbe in dieser Stadt nur drei solche Menschen wie Sie. Da können Sie selbstverständlich die unaufgeklärten Massen nicht besiegen. Im Laufe ihres Lebens werden Sie Schritt für Schritt zurückweichen müssen und in der Menge verloren gehen. Das Leben wird Sie erdrücken. Aber Sie werden nicht spurlos verschwinden, nicht ganz ohne Wirkung bleiben. Denn nach ihnen kommen vielleicht schon sechs solche Menschen wie Sie, später sind es schon zwölf usw. usw. Bis schließlich die Mehrzahl aller Menschen so sein wird wie Sie. Und in zweihundert, dreihundert Jahren wird das Leben auf Erden unvorstellbar herrlich sein.“ Wenn das Falilou Seck als Werschinin zu Emre Aksızoğlu, Oscar Olivo und Karim Daoud als den drei Schwestern sagt, dann erzählt sich für mich eine Utopie, der wir am Gorki Theater heute auf der Spur sind.
Interview: Volker Sievert
„Drei Schwestern“ hat am 1. Oktober Premiere am Maxim Gorki Theater in Berlin. Weitere Aufführungen sind am 3. und vom 28.–30. Oktober.