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„Mehr als die Summe seiner Teile“

Vor 20 Jahren hat David Gray sein Album „White Ladder“ veröffentlicht – und ohne diesen Folktronica-Klassiker gäbe es heute wahrscheinlich weder Ed Sheeran noch Lewis Capaldi.Interview: Steffen Rüth

David, als „White Ladder“ Ende 1998 erschienen ist, war die Welt noch eine andere.

David Gray: Alles hat sich radikal verändert. Wir Menschen blicken mit erschrockenen Augen auf Populismus, Rechtsextremismus und den Klimawandel. Ich denke, wir wachen gerade aus einer langen Apathie auf und beginnen zu begreifen, dass wir untergehen, wenn wir weiter so selbstgerecht sind. Natürlich hat sich durch das Internet die Art und Weise gewandelt, wie Menschen Musik hören. Doch „White Ladder“ ist immer noch wahrhaftig: Du hörst die ersten Takte von „Please forgive me“ und betrittst eine Zeitkapsel.

Warum ist das so?

Gray: „White Ladder“ ist mehr als die Summe seiner Teile. Ich weiß nicht, wie es uns gelungen ist, diese besondere Magie in die Platte hineinzuweben, aber sie hat einen ganz eigenen Charakter, eine eigene Identität. Ohne es zu ahnen, haben wir damals eine weltberühmte Skulptur gemeißelt.

Interessanterweise klingt das Werk auch noch ganz frisch.

Gray: Tja, die Musik hat sich in den vergangenen 20 Jahren erschreckend wenig weiterentwickelt. Wir sehen Veränderungen in allen Lebensbereichen, bloß in der Popmusik traut sich niemand etwas Neues. Es geht nur noch darum, nicht zu stören und mit deiner Musik eine Oberfläche zu schaffen, mit der sich Marken schmücken wollen. Gegen die totale Kommerzialisierung herrschen keinerlei Vorbehalte mehr. Wo ist der nächste Grunge? Der nächste Punk?

„White Ladder“ war ein Welterfolg und zählt in Großbritannien zu den meistverkauften Alben aller Zeiten. Welche Schäden hat der Erfolg hinterlassen?

Gray: O Gott, so einige. Ich war drei Jahre kaum zu Hause. Ruhm und Geld haben mein Leben so sehr gestört, dass ich es zunächst nicht mehr als mein eigenes erkannt habe. Da ist etwas kaputtgegangen. Auch mein Ego war nicht immun gegen die Folgeeffekte von immer größeren Shows und tollen Chartplatzierungen. Irgendwann musst du dich davon distanzieren, um als Mensch und auch als Songwriter weitermachen zu können. Kreativität ruht sich nicht auf ihren Lorbeeren aus.

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