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Melissa Etheridge: „One Way out“ – „Auch ich war bei weitem nicht immer treu.“

Melissa Etheridge Gitarre Schwarzer Hintergrund
(Foto: Lauren Dukoff)

Melissa Etheridge kämpft seit 30 Jahren als unerschrockene Aktivistin. Doch in ihrem Archiv lag noch ein Album, für das sie lange Zeit nicht bereit gewesen ist.

Melissa, du hast während der düstersten Corona-Zeit an fünf Abenden pro Woche ein Konzert in deiner Garage gespielt und gestreamt. Begleitet hat dich allein deine Frau Linda. Wie bedeutsam waren diese Shows für dich?

Etheridge: Sie waren überlebenswichtig. Es war eine traumatische Zeit, und wir beide waren sehr froh, dass wir einander hatten. Zu singen, zu spielen, den Kontakt mit meinem Publikum aufrechtzuerhalten – all das hat dazu beigetragen, dass ich gesund geblieben bin.

Was nimmst du aus dieser Erfahrung mit fürs Leben?

Etheridge: Livemusik ist etwas ungeheuer Wertvolles. Unglaublich, wie sehr ich den Applaus vermisst habe. Ich war ein bisschen abgestumpft und habe so vieles für selbstverständlich gehalten. Das werde ich nie wieder tun, versprochen.

Die Songs auf „One Way out“ sind rund 30 Jahre alt. Warum lag das Material so lange bei dir im Archiv?

Etheridge: Vor meinem großen Mainstreamerfolg mit „Yes I am“ habe ich das Album für zu forsch und zu direkt gehalten. Ich war persönlich noch nicht so weit, dieses Material zu veröffentlichen.

„I’m no Angel myself“ behandelt zum Beispiel das Thema Untreue.

Etheridge: Das ist noch vornehm ausgedrückt. In dem Song beschreibe ich das Treffen mit einer alten Freundin, die mit meiner damaligen Lebensgefährtin geschlafen hat. Und ich stelle fest, dass auch sie unter Beziehungsproblemen leidet – und zwar unter sehr heftigen. Aber keine Sorge, auch ich war bei weitem nicht immer treu.

Ein rockiger, knuspriger und zeitlos nach Tina Turner und den Rolling Stones klingender Song wie „Save myself“ war seiner Zeit also voraus?

Etheridge: Musikalisch sicher nicht – das ist ja eine klassische Rock’n’Roll-Nummer. Aber ich singe halt über ein kleines, mutiges Mädchen, das die Welt erobern will. Das Thema von „Save myself“ ist ein durch und durch feministisches: Sie wartet nicht auf den Prinzen, sondern sie reitet einfach allein los.

Auf den Prinzen ja schon gar nicht. Du hast dich bereits 1993 als lesbisch geoutet, als das noch alles andere als übliche Praxis gewesen ist. Heute bist du eine unerschrockene Ikone der LGBTQ-Bewegung sowie eine Aktivistin für linke Politik, Klima- und Tierschutz. Bereust du dennoch, dass du dich nicht früher zu deiner Sexualität bekannt hast?

Etheridge: Ich denke, aus der Sicht von damals war es der richtige Zeitpunkt. Heute würde ich nicht mehr so lange warten, bis ich mich etabliert habe. Aber alles in allem habe ich das ganz gut hinbekommen. Als ich mein Coming-out hatte, gab es kaum offen Homosexuelle in der Rock- und Popmusik. Heute hebt niemand mehr eine Augenbraue, wenn sich jemand dazu bekennt, queer zu sein. Wenn du möchtest, kannst du mich gerne eine Pionierin nennen. Ich bin definitiv stolz und dankbar, hunderttausenden von Menschen, insbesondere Frauen, den Mut gegeben zu haben, offen und angstfrei als diejenigen zu leben, die sie sind.

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