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Michael Kleeberg: Vaterjahre

Karlmann „Charly“ Renn hat’s geschafft. Der zweifache Familienvater und Geschäftsführer eines Hamburger Kautschukunternehmens leistet sich Rotweine für dreistellige Beträge und Statussymbole auf Rädern, doch immer mit dem Drang nach feinem Distinktionsgewinn, nicht nach grobem. Wenn sein Kumpel Kumpf mit einem noch teurerem Wein kontert, ist Charly das zutiefst zuwider. Dann sitzt er lieber alleine in seinem Weinkeller und gönnt sich eine Flasche in völliger Einsamkeit. Nur ein Mal nagte der Zweifel an diesem Vorzeigematerialisten: damals, im September 1993. Da sorgte die Erkenntnis, dass sein bester Freund Kai erfolgreicher sein könne als er, für einen Zusammenbruch mit eruptivem Durchfall mitten auf der Hamburger Köhlbrandbrücke.

Doch das ist lange her. Michael Kleeberg liefert mit „Vaterjahre“ nicht nur das überdeutlich gezeichnete Psychogramm eines Vertreters der 1960er-Generation, sondern in Form von Rückblenden auch die Herkunft seines Helden aus dem Westdeutschland der Vorwendezeit. Kapitel mit den Namen „Privatleben“, „Arbeit“ und „Umfeld“ konterkarieren bewusst, was Kleeberg als Autor auszeichnet: eine Schreibe, die von einfachen Informationen bis hin zu feinsten psychologischen Einsichten aus Fakten eine lebendige Welt entstehen lässt. Die Geschichte des Mannes, der fast alles erreicht hat und genau deshalb irgendwie zum Stillstand kam, ist Teil zwei des Karlmann-Zyklus, der hoffentlich weiter fortgesetzt wird. (jw)

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