Michael Köhlmeier: Das Mädchen mit dem Fingerhut
Yiza ist ein Flüchtlingskind. Sechs Jahre alt. Sie hat schon öfter in einem Auto gesessen. Wo, das wissen wir nicht. Sie hat durch das Autofenster auch schon mal ein Pferd gesehen. Doch das war in einem anderen Leben. Jetzt steht sie jeden Morgen bei Bogdan im Laden, steht da und schweigt. So lange, bis Bogdan ihr was zu essen gibt. Draußen ist es kalt, denn es ist Winter, doch Yiza hat einen Onkel, und mit dem trifft sie sich am Abend und geht in eine nicht näher beschriebene Unterkunft. Bis der Onkel nicht mehr kommt … Michael Köhlmeier hat in seinem neuen Roman einen radikal subjektiven Blick einer von allem Ausgeschlossenen auf unsere Welt geschaffen. Wir sehen und verstehen nur, was Yiza sieht und versteht. Und Yiza versteht von der Sprache dieses fremden Landes nur ein Wort: Polizei. Sobald sie es hört, fängt Yiza an zu schreien. Ihr Blick auf die namenlose Großstadt eines namenlosen Landes in der ersten Welt ist ohne jede Larmoyanz. Yiza will überleben. Sie schläft in Müllcontainern, im Wald, in einer Scheune, schließlich bei einer alten Frau. „Das Mädchen mit dem Fingerhut“ ist Köhlmeiers bisher eisigster und gleichzeitig emotionalster Roman, den es vor allem aufgrund der Erzählperspektive zu lesen lohnt, denn dieser Blick richtet sich auf uns – wohlig eingerichtet in einer offenen Gesellschaft, aber geschützt durch eine gläserne Wand der Ignoranz. Ist der Roman auch politisch? Ja. Wenn er unser Herz erreicht.