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Michael Moore

Sie glauben, um General Motors von Fabrikschließungen abzuhalten, muss man Milliardär sein? Sie sind der Meinung, wenn man vom Weißen Haus als gefährlich eingestuft wird, sei man Terrorist? Michael Moore hat beides geschafft. Seine Waffe: die Kamera. Der 48-jährige Dokumentarfilmer nimmt in „Bowling for Columbine“ die Schießwut der Amerikaner in den Sucher. Damit begeisterte er nicht nur in Cannes, sondern sorgte auch dafür, dass eine Supermarktkette den Verkauf von Munition einstellte.

kulturnews: Mr. Moore, „Bowling for Columbine“ beschäftigt sich mit dem Amoklauf an der Columbine Highschool vor drei Jahren und der Schießwut der Amerikaner. In Deutschland erschoß vor ein paar Monaten ein Schüler in Erfurt 16 Menschen. Was haben Sie gedacht, als Sie davon hörten?

Michael Moore: Ich dachte: Okay, einmal alle 50 Jahre rastet auch in Deutschland jemand aus. Ein junger Mann ist durchgedreht und hat legale Waffen in die Finger bekommen.

kulturnews: In Deutschland wurde am selben Tag das Waffenrecht verschärft. Halten Sie das für sinnvoll?

Moore: Schärfere Waffengesetze werden die Durchgedrehten nicht davon abhalten, durchzudrehen. Sie werden immer einen Weg finden, ihre Wut in die Tat umzusetzen. Es geht nicht um die Waffen.

kulturnews: Ist die Sorge in Deutschland also unberechtigt, dass auch wir amerikanische Verhältnisse bekommen könnten?

Moore: Nein, das ist eine berechtigte Sorge, und es geht um weit mehr als McDonald’s-Restaurants oder die Übermacht der Hollywood-Industrie. Ihr Niedergang beginnt dort, wo Sie Ihre Ethik aufgeben und unsere annehmen. In Europa gibt es eine traditionelle Ethik der Empathie: Wenn einer von uns krank wird, sollten wir uns um ihn kümmern. Wenn jemand arm ist, müssen wir ihn unterstützen. Unsere Ethik lautet: Wenn du krank bist: Scheiß auf dich! Wenn du deinen Job verlierst oder in die Armut abrutscht: Scheiß auf dich! Nicht nur werden wir dir nicht helfen, wir werden dir auch noch ins Gesicht zu treten. Bei uns herrscht ein aggressives Klima staatlicher Gewalt gegen die Leute, die sich am wenigsten verteidigen können, und das manifestiert sich auch darin, wie wir den Rest der Welt behandeln. Das müssen wir als erstes ändern – nicht die Waffengesetze.

kulturnews: Nach Tragödien wie in Columbine oder Erfurt wird oft zuerst auf die Medien gezeigt – brutale Videospiele, gewalttätige Hollywoodfilme oder aggressive Popmusik sollen Schuld sein …

Moore: Das liegt total neben dem Thema. Jeder normale Mensch kennt den Unterschied zwischen Realität und Fiktion. Und es gibt überall ein paar Verrückte, die den Unterschied nicht kennen. Die griechischen Dramatiker mit ihren gewaltstrotzenden Stücken brachten ja auch nicht andere Griechen dazu, sich gegenseitig umzubringen. Die Aufführung von „Hamlet“ hat bislang keine Königsmorde veranlasst.

Kulturen: Shakespeare und Schwarzenegger sind für Sie dasselbe?

Moore: Der Unterschied ist: Hamlet ist gut – –und fast alles, was aus Hollywood kommt, ist Mist. Das eigentliche Thema ist das Realitätsfernsehen, die Nachrichten, die Gewalt aufblasen und sensationalisieren, statt über die eigentlich wichtigen Themen zu berichten. Heute abend: Mord in der Bronx! Mord in Manhattan! Mord in Queens! Es ist eine schiefe Wahrheit, außerhalb jeder Proportion. Wir haben eine Atmosphäre geschaffen, in der jeder Angst hat, von einem anderen angegriffen zu werden. Ob das der Killer in der eigenen Straße ist oder die Taliban in Afghanistan – überall lauert ein schwarzer Mann, der uns an den Kragen will.

kulturnews: Ist derartige Verängstigung nicht auch politisch sehr gefährlich?

Moore: Ja. Faschismus ist stets auf der Grundlage erblüht, den Leuten derart Angst zu machen, dass sie dem Führer blind folgen. Jeder rechte Politiker weiß: Die beste Art, die Leute zur Aufgabe ihrer Rechte zu überreden, ist die Erzeugung von Angst.

kulturnews: Am Ende sind also Ausbrüche von Gewalt und Aggression ein politisches Problem?

Moore: Je mehr sich Ihre Regierungen in Europa nach rechts bewegen und sie unsere Politik der Verachtung und des Niedertrampelns derjenigen, die wenig oder nichts haben, übernehmen – je weiter Sie diesen Weg der staatlichen Gewalt gegenüber den Armen und Immigranten beschreiten, desto stärker werden sich bei Ihnen auch amerikanische Muster der Gewalt zeigen. Es wird mehr Waffen geben und mehr Morde. Die einzige Art, das zu verhindern, ist das soziale Netz zu erhalten, das Sie erschaffen haben.

kulturnews: Sie sind mit Ihrer Kamera einem TV-Serienproduzenten, dem Manager einer Raketenfabrik und sogar Charlton Heston zuleibe gerückt. Wie haben Sie sich bei Heston Zutritt verschafft?

Moore: Ich hatte ihn nach zwei Jahren vergeblicher Anfragen bereits aufgegeben, als auf dem Weg zum Flughafen einer der Team-Jungs sagte: Lass uns doch eine Star-Stadtkarte von Hollywood kaufen und gucken, wo Heston wohnt! Tatsächlich war da Charlton Hestons Haus verzeichnet, und aus Quatsch sind wir hingefahren. Ich klingelte, und aus der kleinen schwarzen Kiste ertönte die Stimme von Moses (Heston in „Die zehn Gebote“, Anm. d. Red.). Ich war sprachlos. Dann dachte ich, er wird jetzt die NRA anrufen, die ihm diesen Quatsch ausredet, und das war’s dann. So blöd wird ja nun keiner sein. Aber das Tor öffnete sich!

kulturnews: Wen haben Sie nicht vor die Kamera bekommen?

Moore: Niemand. Alle haben mit mir gesprochen – sogar Charlton Heston. Plötzlich ist der große Haudegen, der behauptet, seine Waffe müsse man seinen kalten, toten Fingern entwinden, bloß ein verängstigter alter Mann, der kaum gehen kann. Wovor haben wir eigentlich Angst?

kulturnews: Frustriert es Sie nicht, gegen das ganze Establishment anzutreten? Kürzlich nannte Sie ein Mitarbeiter des Weißen Hauses Sie sogar „gefährlich“ …

Moore: Ach, das war nur ein Pressesprecher, der mal eine dicke Lippe riskieren wollte. Die schlagen immer einen dramatischen Tonfall an. Aber mich ermutigt, dass wir mit unserer Arbeit tatsächlich einige kleinere Veränderungen initiiert haben. Als ich „Roger and Me“ drehte, sah sich General Motors im Rampenlicht und außerstande, in den nächsten drei Jahren eine weitere Fabrik zu schließen. Und wegen „Bowling for Columbine“ hat K-Mart sämtliche Schusswaffen-Munition aus seinen Regalen geräumt.

Interview: Nina Rehfeld

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