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Michael Nyman

Wird der Gentechnik-Sci-Fi-Thriller „Gattaca“ (ab 9. 7. in den Kinos) der Beginn einer späten Hollywood-Karriere für einen Künstler, der sich seit 20 Jahren die Verschmelzung von Avantgarde und Pop zur Aufgabe gemacht hat? Wenn der Name Nyman fiel, pflegte der Filmfreund „Greenaway“ zu ergänzen. Als Komponist kongenialer Musik zu Peter Greenaways exzentrischen Fabeln hat er sich bleibende Verdienste um das europäische Erzählkino erworben. Dann kam der Riesenerfolg „Das Piano“, und Hollywood wurde hellhörig. Nun hat Nyman zu Andrew Niccols Film einen eindringlichen Soundtrack (bei Virgin) beigesteuert, in dem die Streicher schwelgen, jedoch sein Markenzeichen, die endlos wiederholten Stakkati, in den Hintergrund treten.

KULTUR!NEWS: Mr. Nyman, gleichzeitig mit dem Soundtrack haben Sie noch ein großes Doppelkonzert geschrieben – woher kommen all die Ideen?

Michael Nyman: Ich bin keiner von diesen Komponisten, die mit jedem Stück einen Kampf ausfechten müssen, und auch keiner von denen, die nie ihre Fristen und Termine einhalten. Und in gewisser Weise bin ich ein Erzrecycler. Denn wenn sich herausstellt, daß ein Stück Musik nicht paßt, wird sich bestimmt irgendwann die Gelegenheit ergeben, es woanders einzusetzen. Die musikalischen Ideen sind in gewissem Sinne zeitlos und gesichtslos – bis sie Teil eines Ganzen werden. Sie sind zwar da, aber sie sind solange nur Potentiale, bis jemand kommt, sie aus dem Topf rausholt und ihnen eine Persönlichkeit, ein Herz und Frau und Kinder verpaßt.

K!N: Sie nehmen oft konkrete Ereignisse als Anlaß für Ihre Kompositionen. Filmen fehlt aber gerade oft die Faszination des Wirklichen.

Nyman: Im Film geht es um die Beziehung der Musik nicht zu realen, sondern zu erfundenen Menschen, das ist richtig. Aber diese ganze Künstlichkeit beeinträchtigt die Musik nicht. Denn es sind immer noch ehrliche Aussagen über ein bestimmtes Empfinden, da kann der Auslöser auch noch so fiktiv sein.

K!N: Haben Sie bei der Arbeit an der Filmmusik Ihre gewohnte Selbständigkeit vermißt?

Nyman: Sicher, bei „Gattaca“ war ich Angestellter eines großen Hollywood-Studios. Aber auch bei den Arbeiten mit Peter Greenaway hatte ich genaue Anweisungen. Die waren allerdings völlig anders: Da hieß es nicht: „Diese Szene braucht etwas, und jener Charakter muß untermalt werden“… Für „Drowning by Numbers“ etwa mußte die ganze Musik aus acht Takten eines Klavierkonzertes von Mozart bestehen. Und es ist in der Tat bisweilen interessanter, als Virtuose etwas Vorgefundes zu bearbeiten, als diese Grundlage selber zu schaffen.

K!N: Daß Sie Ihre großen Vorbilder zitieren, hat man Ihnen oft als postmoderne Spielerei vorgeworfen …

Nyman: Wenn man sich „Die Zauberflöte“ anschaut, war das ein äußerst eklektisches, äußerst postmodernes Stück, das aber im 18. Jahrhundert geschrieben wurde. Ich will nicht sagen: Weil Mozart das gemacht hat, darf ich das auch. Ich sage nur: Komischerweise haben die Kritiker, die mich ablehenen, kein Problem mit der „Zauberflöte“.

K!N: Für den „Gattaca“-Soundtrack verwenden Sie nicht ihren Liebling Mozart, wohl aber ein Schubert-Impromptu. Wonach wählen Sie aus dem großen Fundus der Klassiker aus?

Nyman: Ich suche mir die Harmonien, die ich verwende, nicht um eines bestimmten Effektes willen aus, aber sie alle besitzen etwas Verführerisches. Dann geht es darum, wie diese Harmonien in Bewegung gesetzt werden – etwa durch Wiederholung. Und dann werden sie mit Melodien konfrontiert, verdammt guten Melodien, wie ich finde, die hooks haben wie in der Popmusik. Schließlich kommt die Präsentation, üblicherweise mit viel Energie und Verve. Die musikalischen Bilder, die ich schaffe, sind augenblicklich vorhanden.

K!N: Unterscheidet das Ihre Musik nicht ganz grundsätzlich von den Pionieren des Minimalismus?

Nyman: Wenn man sich eine Komposition von Philip Glass anhört, hat man sich nach ungefähr fünf Minuten eingehört, aber nur um festzustellen, daß dieses Stück ziemlich genauso ist wie das letzte … Man kann meinen Klangstrukturen nicht entkommen, sie nehmen dich sofort gefangen und lassen dich nicht wieder los. Es gibt da gibt schließlich Methoden, das Interesse aufrechtzuerhalten, den Puls und das Timing des Stückes zu kontrollieren: Wann schlägst du eine neue Richtung ein, wann fügst du etwas hinzu? Das ist etwas ganz anderes als der klassische Minimalismus eines Steve Reich, wo man alle anderen Interessen für die Dauer des Stückes ausblenden muß.

Interview: Rolf von der Reith

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