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Michael Roes: Zeithain

Als der preußische Kronprinz Friedrich 1730 vor den drakonischen Erziehungsmaßnahmen seines Vaters nach Frankreich fliehen wollte, hatte er etliche Mitwisser, aber nur einer wurde geköpft: sein Freund Hans Hermann von Katte. Michael Roes macht aus dieser realen Geschichte mit ihren schon mythischen Zügen, die immer den Kronprinzen zum Mittelpunkt hatte, etwas ganz anderes: Seine Geschichte ist die des schwulen Freundes, der geopfert wurde, um den Kronprinzen nicht nur zu züchtigen, sondern ihm schlicht den Willen zu brechen.

Auf über 800 Seiten sorgen zwei Rahmenhandlungen und zusätzlich noch Briefe zwischen Katte und seiner Tante, der Baroness Melusine von der Schulenburg, nicht nur für ein einfühlsames Porträt ab dem Kindheitsalter. Roes bringt uns auch die grausamen pietistischen Erziehungsmethoden in Internaten des 18. Jahrhunderts näher; auch die Studienbedingungen der damaligen Zeit mit ständig ausbrechenden Studentenrevolten und schließlich noch die Militärausbildung Kattes sind wesentlicher Bestandteil der Erzählung.

Vor allem aber zeigt Roes uns, wie schwules Leben damals wohl gelebt wurde, als es den Begriff „schwul“ noch gar nicht gab. Klar, das ist Literatur, erfunden also, und doch unglaublich fundiert recherchiert. Auch wenn die doppelte Entjungferung Kattes auf seiner Kavaliersreise durch eine Cousine, die Gräfin von Walsingham, sowie einen Matrosen in London so natürlich nicht historisch verbürgt ist.

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