„Ich glaube an die Zukunft!“: Moby im Interview zu „Resound NYC“
„Resound NYC“ von Moby: Die Viertelpubertät eines Los-Angeles-Klischee-Veganers
Moby, wie ist das generelle Befinden?
Moby: Mir geht es sehr gut, und ich fühle mich fast schuldig, wenn ich das so freimütig zugebe. Während die Welt mit dem Klimawandel, der zunehmenden Resistenz gegen Antibiotika sowie Attacken und Kriegen gegen demokratische Staaten und das demokratische System als Ganzes beschäftigt ist, habe ich soeben ein leckeres Frühstück gehabt und werde gleich zu einer Wanderung aufbrechen.
Was hat es denn Schönes gegeben?
Moby: Wenn ich dir das jetzt verrate, wirst du denken, ich sei der größte Los-Angeles-Klischee-Veganer des gesamten Planeten.
Ja, aber du bist doch der größte Los-Angeles-Klischee-Veganer des Planeten.
Moby: (lacht) Also gut, ich habe mir einen Smoothie mit Brokkoli, Kohl, Orange, Apfel, Banane, Petersilie, Blaubeeren, Erdbeeren und Chiasamen gemacht. Es war superlecker, aber es ist selbst für kalifornische Verhältnisse kein normales Frühstück. Ich kenne nicht allzu viele Leute, die morgens als erstes Kohl und Brokkoli trinken.
Bist du stolz auf die Kreation deiner Smoothies?
Moby: Stolz ist etwas übertrieben, aber mit mir ist etwas passiert, worüber ich sehr froh bin. Ungefähr zu der Zeit, als ich mit dem Trinken aufgehört habe – also vor 14 Jahren – konnte ich an mir feststellen, dass ich aufrichtig beginne, gesunde Dinge zu lieben. Ich habe angefangen, Sit-ups zu machen, früh ins Bett zu gehen und sehr viel draußen zu sein. In der Regel gehe ich um 21 Uhr schlafen und stehe um 4 Uhr wieder auf. Ich meditiere seit vielen Jahren und gehe fast jeden Tag wandern.
Das muss man erstmal schaffen, sein ganzes Leben so auf den Kopf zu stellen.
Moby: Das einzige, was ich vorher schon praktiziert habe, ist meine vegane Ernährung. Aber auch als Veganer kannst du ganz schön viel Mist fressen. Ich habe tonnenweise frittiertes Zeug in mich reingestopft, und dazu habe ich gesoffen und Koks genommen. Das fühlt sich alles eine Minute lang super an, aber dann ist es schrecklich. Ich glaube, mein Gehirn musste erst lernen, sich wie das Gehirn eines erwachsenen Menschen zu verhalten. Weniger aufgeregt, sondern rationaler zu reagieren. Ich denke, ich bin alles in allem sehr lange in der Pubertät gewesen.
Dann bist du mit deinen 57 Jahren jetzt erwachsen?
Moby: Das ist die große Frage, denn als Musiker lebe ich in einem Zustand der verzögerten Reife. Vielleicht befinde ich mich in einer Art Viertelpubertät. Ich bin noch immer ein egoistischer, zur Selbstverliebtheit und auch zur Selbstherrlichkeit tendierender Musiker, aber ich toure nicht mehr, und ich richte mich nicht mehr mutwillig zu Grunde. Ich gehe heute viel besser mit mir um, trotzdem wird sich mir die Erwachsenenwelt wohl niemals ganz erschließen.
„Ich habe keine Beziehung und date auch nicht“
Dein Album „Reprise“ vor zwei Jahren war ein sehr üppiges Orchester-Best-Of. Mit „Resound NYC“ blickst du nun auf deine fruchtbaren und auch überwiegend sehr erfolgreichen künstlerischen Jahre in New York zwischen 1994 und 2010 zurück. Warum erneut eine Rückschau?
Moby: Zunächst einmal war „Reprise“ ein unerwartet großer Erfolg, und meine wunderbare Plattenfirma, die Deutsche Grammophon, hat mich gefragt, ob ich nicht ein weiteres Album machen möchte. Da muss man mich natürlich nicht lange bitten. Ich liebe es, mich mit meiner Musik zu beschäftigen. Das ist für mich keine Arbeit, sondern etwas, was mir viel mehr Freude bereitet als mich etwa mit Menschen zu treffen und am sozialen Leben teilzunehmen. Ich gehe vielleicht einmal im Monat aus, das genügt mir. Und ich habe keine Beziehung und date auch nicht. Ich bin einfach gern daheim und verschmelze mit meinen Ideen.
Magst du das Gefühl der Nostalgie?
Moby: Ja, ich liebe es, mit zwanzig, dreißig Jahren Abstand meine Kunst wieder aufzusuchen und aus der Perspektive eines nicht mehr jungen Mannes neu zu betrachten, zu reflektieren und einzuordnen. Wie gesagt, es ist auch eine Übung in Narzissmus, doch es macht mir auch so schrecklich viel Spaß, mit Streichern zu arbeiten, Noten fürs Orchester zu schreiben und neue Blickwinkel einzunehmen.
Die Stücke auf „Resound NYC“ klingen oft stärker, mächtiger, auch wärmer als die Originale. Aber das große Orchester ist nicht mehr so im Vordergrund, oder?
Moby: Nein, wir haben dieses Mal ganz anders gearbeitet. Jeder einzelne Song hat sein individuelles Orchester bekommen. Manche brauchten das große Besteck, andere vielleicht nur Bläser und Cello. Und es gibt auch welche, die verlangen nach einem alten analogen Moog-Synthesizer. „Reprise“ war ein deutlich traditionelleres Orchester-Album, das neue hat noch mehr Kleinarbeit und Liebe zum Detail erfordert. Es hat noch mehr Spaß gemacht, diese kleinen Schnellboote aufs Wasser zu bringen.
Das Aufgebot an Gastsänger:innen ist äußerst vielfältig. Es gibt mächtige Stimmen wie die von Jazzer Gregory Porter oder Soulsängerin Danielle Ponder, aber auch zarte, ruhige Beiträge, etwa von der Cowboy-Junkies-Stimme Margo Timmins und dem Indie-Musiker Damien Jurado.
Moby: Ich bin ein 57 Jahre alter weißer Mann. Und ein höchstens passabler Sänger. Wenn ich andere Geschlechter, Ethnien oder Gesangsqualitäten in meiner Musik möchte, dann muss ich mit Gästen arbeiten. Ich liebe die Bandbreite der Gefühle und Stimmungen, die sich einstellen, wenn eine diverse Gruppe von Menschen ihr Können und ihre Erfahrungen einbringen. Am meisten berührt hat mich in diesem Zusammenhang Danielle Ponder. Ihr Vater, ein alter Pastor, hat mein Lied „Run on“ vom „Play“-Album häufig in seinen Gottesdiensten gesungen. Heute ist er schwer an Alzheimer erkrankt, und er kann nicht mehr gut sprechen. Aber er erinnert sich noch sehr genau an diesen Song. Also hat Danielle ihn im Pflegeheim besucht und seinen Gesang mit ihrem Handy aufgenommen. Die männliche Stimme, die du nun auf „Run on“ hörst, ist die Stimme von Elijah Ponder.
Du hast gleich zu Beginn dieses Jahres das überhaupt nicht kommerzielle Album „Album 23“ veröffentlicht, über das du gesagt hast, es sei dafür gemacht, Ängste zu bekämpfen. Deine eigenen oder die deiner Hörer:innen?
Moby: Zuallererst meine eigenen. Ich mache auch deshalb Musik, um gegen meine Angstzustände zu kämpfen und weniger gestresst zu sein. Alles, was mir hilft, entspannter zu sein und mich zu beruhigen, ist sehr wertvoll. Musik ist für mich – und zum Glück nicht nur für mich – ein Ort der Zuflucht und der Geborgenheit.
Verfolgst du in deinem Wohlfühlkokon die Nachrichten oder regt dich das nur noch mehr auf?
Moby: Oje, hier sprechen wir von meiner letzten verbliebenen Sucht. Ich bin von Nachrichten besessen. Wenn ich dir meinen Konsum beschreibe, wirst du sicher besorgt um mich sein: Ich lese jeden Morgen die New York Times, die Washington Post, den Guardian, The Independent, das Wall Street Journal, schaue BBC, CNN und Fox News, und wenn ich alles aufgesaugt habe, lese ich etwas Leichtes über Biologie oder Quantenphysik, um mein Gehirn zu reinigen.
„Wenn ich alles aufgesaugt habe, lese ich etwas Leichtes über Biologie oder Quantenphysik“
Du bist 2010 nach Los Angeles übergesiedelt. Abgesehen davon, dass du in der Pubertät festgehangen bist – wie hast du deine Ära in New York in Erinnerung?
Moby: Ich will dich nicht runterziehen, aber meine Reise in die Vergangenheit beinhaltet eine große Traurigkeit. Nicht, weil ich älter geworden bin. Ich mag es, älter zu werden. Es ist eher so, dass wir seit den Neunzigern so viel Optimismus verloren haben. So viel Schreckliches war noch nicht geschehen – sei es 9/11, der Irakkrieg, die Pandemie oder Donald Trump. Unser Präsident hieß Bill Clinton, China und Russland haben sich in demokratischen Reformen geübt, die Musik war optimistisch und euphorisch, der Klimawandel nur eine Idee und keine Bedrohung, und das Internet wurde noch als wunderbares neues Kommunikationswerkzeug gefeiert. Wir haben gut mit der Grundüberzeugung gelebt, dass alles besser werden würde.
Und jetzt?
Moby: Es wird dich möglicherweise überraschen, aber ich glaube an die Zukunft! Unser Sinn für Optimismus wird schon bald wieder sehr lebendig sein. Ich schließe mich einem guten Freund von mir an, der sagt: Das einzige, worin Menschen noch besser sind als im Verursachen von Problemen, ist das Lösen von Problemen. Wir verändern gerade, wie wir Energie produzieren. Wir verändern, wie wir Nahrung produzieren. Die menschliche Geschichte ist voller kleiner Dinge, die eine gigantische Wirkung gehabt haben, Penicillin zum Beispiel. Ich habe die Hoffnung, dass wir lernen, wie wir überleben können, bevor wir uns selbst zerstört haben.