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Musikfestivals und ihre kulturelle Bedeutung

Holi Festival
(© JackF/ Adobe Stock)

In diesem Jahr werden aller Wahrscheinlichkeit nach nur wenige Festivals stattfinden. Doch was bedeutet das für Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur?

Musikfestivals gehören fest zum alljährlichen Kulturprogramm in aller Welt dazu. Sie sind eine fest Institution, die das gemeinsame Feiern eines der wichtigsten Kulturgüter überhaupt – der Musik – auf die Spitze treibt. Egal ob staubiges Hardrock-Festival, klassisches Festspiel oder Shanty-Festival für Seemannslieder, sie ziehen allesamt riesige Mengen an Besuchern an und sind selbstverständliche Kulturveranstaltungen.

Ihnen kommt also im Kontext unserer Gesellschaft eine herausragende Funktion und Position zu. Sowohl soziale Faktoren, als auch wirtschaftliche, öffentliche und infrastrukturelle Interessen sind fest daran geknüpft.

Umso schmerzhafter der Verzicht dieses kulturellen Privilegs in Zeiten von Corona, umso intensiver das Erlebnis bei den nächst möglichen Festivalbesuchen.

Der kulturelle Wert von Musik

Dass Musik eines der wichtigsten Kulturgüter überhaupt ist und uns als Menschen tief im Innern berührt, ohne dass wir uns bewusst damit beschäftigen oder die Liebe dazu lernen müssen, ist unbestreitbar.

Schon im Mutterleib wirkt Musik auf das sich noch entwickelnde Gehirn von ungeborenen Babys ein und hat beispielsweise einen beruhigenden Effekt – das wurde mehrfach wissenschaftlich bewiesen. Kein Wunder also, dass flächendeckend auf dem gesamten Globus jede einzelne Kulturgruppe trotz kleinerer Unterschiede in der Wahrnehmung die Musik sehr hoch schätzt.

Der Musik kann man als Mensch demnach nicht entgehen – Augen kann man verschließen, die Nase zu- und Luft anhalten, oder etwas bewusst nicht anfassen um es nicht zu erfühlen. Aber Klang durchdringt uns immer, ohne dass wir eine Wahl haben. Dass sogar gehörlose Personen Musik genießen, dürfte spätestens seit Ludwig van Beethoven keine Überraschung mehr sein.

Dabei hat Musik in ihrer Grundlage stets eine soziale Funktion inne: Da andere Menschen sie unweigerlich hören und wahrnehmen ist sie automatisch kommunikativ. Da sie sowohl von Menschen gemacht als auch von ihnen konsumiert wird, ist eine soziale Komponente fest mit ihr verbunden.

Musikveranstaltungen sind daher eine selbstverständliche Konsequenz. Die Zusammenkunft von Menschen zum gemeinsamen Genießen von Musik, sei es als Kunstform oder zur beiläufigen Unterhaltung, ist eine kulturelle Institution, die nicht mehr weg zu denken ist. Das gilt für die Matinee des Sinfonieorchesters und Pop- oder Rockkonzerte gleichermaßen.

Festivals und große Konzerte als Höhepunkt der Livemusik

Der Begriff Festival ist nicht ganz präzise definiert – es kann sich dabei im Grunde um mehrtägige Unterhaltungsveranstaltungen jeder Art handeln, wie beispielsweise Theater. Fast selbstverständlich wird darunter jedoch das Open-Air Musikfestival verstanden.

Besonders aufgrund ihres Attraktionscharakters sind sie ein Phänomen, das fast parallel mit dem Siegeszug von Popmusik die Welt erobert hat. Aus dem Bereich Jazz, Blues und Folk entstanden in den 60er Jahren die ersten größeren Musikfestivals in den USA, die zugleich die Karriereverläufe wichtiger Vorreiter in der Rockmusik wie Janis Joplin prägten. Von Beginn an waren große Open-Air-Konzerte und Festivals also mit Rock and Roll und verwandten Musikgenres eng verbunden.

Spätestens seit Woodstock, dem legendären Festival, das im Jahr 1969 Geschichte schrieb, haben Festivals auch eine ganz besondere Aura. Sie werden mit einem bestimmten Lebensgefühl, Freiheit, Selbstbestimmtheit oder aber auch einem gewünschten Ausnahmezustand in Verbindung gebracht.

Für viele junge Menschen ist das erste Festival eine Art Initiation geworden, woraus sich nicht selten eine langjährige Leidenschaft für regelmäßige Konzertbesuche entwickelt. Insbesondere in den letzten Jahrzehnten ist das zu spüren – ein regelrechter Festival-Boom in Deutschland und Europa hat zu einem sehr dichten Netz von Veranstaltungen geführt, die den Kalender füllen. Laut einer Erhebung des statistischen Bundesamtes wurde der größte Teil der Festivals seit den späten 1980er Jahren gegründet und die Zahl und somit die kulturelle Bedeutung wächst weiterhin rasant an.

Hierzulande sind wir durch eine äußerst dichte und florierende Festivallandschaft verwöhnt. Dieser Sommer könnte mit den Absagen derartiger Veranstaltungen erst bewusst machen, wie wichtig auch die gemeinschaftliche Rolle von Festivals ist.

Wirtschaftliche Bedeutung

Der Großteil der Festivals, Ausnahmen wie etwa „umsonst & draußen“ bei Seite, wird als kommerzielle Großveranstaltungen durchgeführt. Zehntausende Besucher zahlen hohe Eintrittsgebühren, um auf einem riesigen Gelände und aufwendigen Bühnen ihre Lieblingsbands aus aller Welt sehen und hören zu können – dass daher ein großes finanzielles Interesse damit verbunden ist, ist selbstverständlich.

Festival-Veteranen dürften aus ihrer Erfahrung bereits wissen, dass die Veranstalter nur in den seltensten Fällen aus Freigiebigkeit agieren: Ticketpreise haben in den letzten Zyklen von Jahr zur Jahr spürbar zugelegt. 2005 kostete ein Kombiticket (Bühnenbereich und Camping) für Rock am Ring noch 105 Euro für den gesamten Veranstaltungszeitraum. Im Vorverkauf dieses Jahr mussten Fans hingegen 262 Euro zahlen.

Die EVENTIM-Gruppe, die nicht nur das bekannte Ticketportal betreibt, war lange Jahre Teilhaber der veranstaltenden Konzertagentur und ist weiterhin für die Distribution der Eintrittskarten involviert. Die jährlichen Umsätze von 1,24 Milliarden Euro (Stand 2018) des Unternehmens dürften als einzelnes Beispiel bereits deutlich machen, wie groß das wirtschaftliche Interesse an Festivals ist.

Ähnlich sieht es bei anderen Veranstaltungen aus. Das Southside Festival konnte im gleichen Jahr Umsätze von knapp 10 Millionen Euro melden und ist damit noch weit von den Top-Verdienern der Branche entfernt. Bei der ICS Festival Service GmbH, den Organisatoren von Wacken, stiegen kürzlich US-Amerikanische Investoren der Superstruct Entertainment Gruppe ein, die Teil eines enorm kapitalstarken Konzernes sind.

Die Vermarktung von Festivals betont immer und immer wieder die Liebe der Gründer und Organisatoren zu Musik und Konzerten – was wir den Persönlichkeiten dahinter natürlich nicht absprechen möchten. Doch es sollte stets bewusst sein, dass enorme finanzielle Interessen eine durchaus große Rolle dabei spielen.

Auch für viele Musiker und Bands sind die Gagen und Merchandise-Einnahmen von Festivals ein großer Teil ihres Einkommens, da sich mit dem Anbieten produzierter Musik nur noch in wenigen Fällen viel Geld verdienen lässt.

Foto: © 2207918 / Adobe Stock

Die Bedeutung von Festivals für Länder und Kommunen

Man könnte meinen, durch den Lärm, die Belastung für das Gelände und der großen Unordnung und dem Chaos, das im Rahmen eines Festivals entsteht, seien die großen Veranstaltungen den Einheimischen der jeweiligen Region ein Dorn im Auge. In Einzelfällen mag das stimmen.

Doch häufig sind Festivals eine wichtige Institution im regionalen Marketing, der Wirtschaft und dem Tourismus. Dabei kann man grundsätzlich zwei Formen unterscheiden:

  • Festivals als Teil der Regionalkultur: Wenn beispielsweise ein Open-Air von oder zumindest in Kooperation mit dem Stadtmarketing im Zentrum veranstaltet wird, ist dabei das Interesse damit verknüpft, Besucher in die Stadt zu ziehen und die Lebensqualität für Einwohner zu erhöhen. So sind Festivals fester Teil des Kulturangebots von Kommunen. Beispiele dafür sind etwa das „gamescom city festival“, das parallel zur Computerspielemesse in der Kölner Innenstadt stattfindet.
  • Regional adaptierte Festivals: Das beste Beispiel hierfür dürfte Wacken sein. Wie viele andere große Festivals findet es im ländlichen Gebiet statt, ganz einfach aus Gründen des enormen Platzbedarfs. Das kleine namensgebende Dorf empfängt die Vielzahl der Besucher, die einmal im Jahr kommen, durchaus positiv.

Bei Festivals im städtischen Gebiet profitieren regionale Unternehmen mehrerer Bereiche vom durch die Veranstaltung entstehenden Tourismus. Kulturelle Events spielen eine sehr große Rolle im Stadtraum und haben entsprechend eine große Bedeutung im Stadtmarketing.

Gastronomie, Hotelgewerbe, lokaler Einzelhandel und weitere Branchen spüren die zusätzlichen Besucherzahlen direkt an den Umsätzen und profitieren somit indirekt von den Veranstaltungen. Im Fall von Wacken und ähnlichen Festivals in der Nähe von Gemeinden gilt dies ebenso.

Dort angesiedelte Supermärkte sind beispielsweise die Bezugsquelle der Wahl, wenn Campern zwischendurch etwas fehlt oder die Getränke ausgehen. Im Ort angestammte Gaststätten beteiligten sich zeitweise sogar an der Bewirtung auf dem Festivalgelände und viele Einwohner sind mit ihren kleinen Unternehmen aktiv involviert.

Sogar der Nachwuchs im Dorf hat mittlerweile Wege gefunden, von dem alljährlichen Spektakel zu profitieren: Für ein paar Euro fahren sie mit Lastenfahrrädern Waren vom Supermarkt zu Festivalbesuchern auf den Campingplatz.

Auf Landesebene erhalten viele Festivals, insbesondere kleinere oder neue Veranstaltungen, Fördergelder aus verschiedenen Töpfen wie etwa als spartenoffene Kunstprojekte. Da sie als kulturelle Institutionen zur Lebensqualität in der Region beitragen ist es sehr wichtig, dass eine entsprechende Vielfalt angeboten ist.

Fazit: Die Gesamtbedeutung von Festivals

Musik- und Jugendkultur finden vor den Open-Air-Bühnen ihren Höhepunkt. Sowohl als kulturelle Zusammenkunft von Musikfans, für wirtschaftliche Interessen aber auch als regionale Institution, die von Gemeinden aktiv gefördert wird, sind Festivals aus unserer Gesellschaft nicht mehr weg zu denken.

Die großen Urgesteine unter den deutschen Musikfestivals sind ohnehin legendär, aber auch kleinere Veranstaltungen mit einem Publikum aus einem kleineren Einzugsgebiet sind häufig lokale Kultevents. Besonders ihre Etablierung als lokaler und industrieller Wirtschaftsfaktor hat ihnen eine wachsende Rolle im Jahreskalender zukommen lassen. Daher ist zu hoffen, dass dieses Jahr eine Ausnahme bleibt und die Festivals spätestens 2021 wieder wie gewohnt den Sommer füllen werden. Bis dahin müssen wir uns mit Livekonzert-Videos und diversen Ersatzprogrammen begnügen.

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