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Näher an der Wahrheit: Barbara Probst im Interview

Barbara Probst
Barbara Probst Exposure #157: N.Y.C., Broome & Crosby Streets, 06.10.20, 10:10 a.m., 2020 3-teilig, je 137 x 91 cm Ultrachrome Tinte auf Baumwollpapier (Foto: © VG Bild-Kunst Bonn, 2020)

Wie die Fotografin Barbara Probst ihre Wahrnehmung des Lockdowns in Kunst verwandelt.

Barbara Probst, seit 2000 zeigen Sie in Ihren Fotoreihen „Exposures“ New Yorker Straßenszenen. Auch während des Shutdowns letztes Jahr haben Sie die Arbeit fortgesetzt. Wie haben Sie die veränderte Lebenswelt selbst wahrgenommen?

Barbara Probst: In den letzten Jahren habe ich mich meist mit Stilleben, Akt- und Modefotografie befasst. Die surreale Stille und Menschenleere in New York im Lockdown im letzten Frühjahr haben mich dann veranlasst, wieder mit meinen Kameras auf die Straßen zu gehen. Vorwiegend habe ich in meiner Nachbarschaft, in Soho, gearbeitet, dessen plötzliche Reglosigkeit eine starke Anziehungskraft auf mich hatte. Die Straßen waren, auch da- durch, dass jegliche Fahrzeuge fehlten, wie mit einem großen Besen leergefegt, so dass die erzählerischen Cast-Iron- Fassaden ihre ganze melancholische Schönheit entfalten konnten. Auf der anderen Seite wirkte die Stille wie die nach einem Unfall, wie im Schock, als hätte die Stadt vergessen zu atmen. Es war also auch ein sehr düsterer Unter- ton in dieser Schönheit. Und es war, als wäre der Schein von allem weggefallen, und wir wären näher an der Wahrheit angekommen.

Auch nach fast einem Jahr wirken die Bilder von nahezu menschenleeren Städten und abgeriegelten Gebäuden äußerst befremdlich – müsste man sich nicht inzwischen daran gewöhnt haben? Was ist es, was Ihre Fotografien so ungewöhnlich wirken lässt?

Probst: Vielleicht ist es die Tatsache, dass diese Bilder von den Straßen eigentlich wie Stilleben wirken. Das Model steht wie eine Vase auf der Straße: gerade und neutral, ohne eine Pose, welche eine Bedeutung oder Aktivität assoziieren ließe. Eben wie ein Gegenstand. Auch die Briefkästen, Hydranten und Ampeln und die geteerte Straßendecke mit ihren Zebrastreifen, Pfeilen und Markierungen wurden zu Elementen des Stillebens. Vor dem Lockdown gab es zwischen einer Straßenszene in New York und einem Stilleben wirklich absolut keinen Bezug. Und diesen ungewöhnlichen Zusammenhang bringen die Bilder wohl zutage. Abgesehen davon hoffe ich, dass das Straßenbild des Lockdowns für uns weiterhin eine absolute Ausnahme bedeutet und dementsprechend ungewöhnlich wirkt. Ansonsten wäre das ein ungutes Zeichen für unsere Lebendigkeit und die der Gesellschaft. Der Lockdown in New York endete letzten Sommer und ist seither auch nicht mehr verhängt worden.

Wenn das gewohnte Umfeld plötzlich fehlt, liegt darin eine Chance, etwas zu erkennen, was sonst übersehen wird?

Probst: Als die Menschen fehlten und damit die Lebendigkeit und hoch getaktete Energie der Stadt, stellten sich für mich plötzlich Fragen über genau das, was da fehlte. Fragen, die sich mir davor nicht auf so grundlegende Weise stellten. Sicherlich haben Menschen überall auf dieser Welt diese Erfahrung gemacht. Als überstimulierte Bewohnerin des hoffnungslos übervöl- kerten New Yorks von damals wurde ich auch von einer mir unbekannten Sehnsucht nach dem Umgang mit anderen Menschen überrascht. Eine Entdeckung, die mich nachhaltig wohl- tuend in meinem Alltagsleben beeinflusst.

Welches Potenzial sehen Sie in der Irritation? Auf was können Betrachter*innen stoßen, wenn sie neuen Situationen und Perspektiven ausgesetzt sind?

Probst: Eine neue Perspektive auf etwas lässt einen ja erkennen, dass man, obwohl man dasselbe sieht, es nun – aus der anderen Perspektive – irgendwie doch anders sehen kann. Und auch, dass dieser andere Blick die gleiche Berechtigung hat wie der gewohnte Blick. Genau auf der Fähigkeit, dies zu erkennen, beruht auch Empathie. Empathie ist die Fähigkeit und Bereitschaft, Motive und Gefühle anderer nachzuempfinden. Die Perspektive des/der anderen einzunehmen, ist ein Akt der Empathie: Das ist ein enormes Potenzial.

Interview: Janka Burtzlaff

Barbara Probst Porträt
Foto:  (c) Fabiana Viso

Barbara Probst. Streets, Fashion, Nudes, Still Lifes bis Juni in der Kunsthalle Nürnberg. Aufgrund der 12. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung muss die Kunsthalle Nürnberg bis auf Weiteres geschlossen bleiben.

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