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Naked Lunch

„From“ würde auch zutreffen. Aber Naked Lunch haben ihr neues Album dann doch lieber „Songs FOR the Exhausted“ betitelt. Waren nämlich nicht unbedingt ein steter Kinderburtstag, die vergangenen Jahre, und mitunter stellte sich den Herren Oliver Welter und Herwig Zamernik die konkret existentielle Frage, ob das denn überhaupt Sinn macht und was bringt, das mit der Band. „Es ist nicht so, dass wir uns in den fünf Jahren Plattenpause wirklich aufgelöst hätten“, sagt Oliver, der Sänger und Textschreiber. Sondern? „Es gab eine Tour, dann eine Produktionszeit von eineinhalb Jahren, ja und ein Jahr lang lag die fertige Platte dann rum, bevor wir eine Firma gefunden hatten, die das nicht nur machen, sondern auch nach unseren Bedingungen machen wollte.“ Allen außer „Motor Music“ sei das Album zu düster, dunkel, lebensverneinend, unkommerziell oder was „immer es sonst noch an Ausreden gibt, wenn man kein Bock hat auf eine Platte oder eine Band“. Okay, so gut ein Jahr Nettorumhängzeit gab es dann auch.“ Nach dem letzten Album „Love Junkies“, da wussten die Musiker, die aus Klagenfurt in Österreich kommen und dort nach wie vor ansässig sind, auch nicht mehr so recht, wo sie hingehörten. Dazu sollte man ein paar Hintergründe kennen: Fing ja nämlich alles ganz groß und großartig an, seinerzeit 1991, als das erste Album „Naked“ erschien. Die Musiker waren jung, so Anfang 20, und sie machten schon recht lässige aber auch wirklich hinreißende Musik, die man seinerzeit noch als Collegerock bezeichnete, kurze Zeit später dann gern auch als Grunge. Jedenfalls „mit 20 wollten wir die Welt niederreißen mit unserer Musik, und wir glaubten tatsächlich, dass wir das schaffen könnten.“ Es ging ja auch in den ersten Jahren steil bergauf. 1995 drehten Naked Lunch das Video zum Song „Obsession“ in Sao Paulo, das 1997er Album „Superstardom“ produzierten sie in London, wo sie zu der Zeit auch residierten, es gab teure Showcases in New York, es gab Stretchlimousinen, und es gab die Illusion vom Ruhm. Out of Klagenfurt und in die große weite Welt des Rock’n’Roll, Oliver, Herwig und die anderen wähnten sich dem Ziel sehr nahe. Doch wie das dann so ist. Zum einen geriet die Kluft zwischen Außenwirkung und internem Selbstverständnis der Band immer weiter, zum anderen hieß es beim „damals gar nicht mal richtig ironisch gemeinten“ „Superstardom“ eben nicht „Nomen est Omen“, das Album wurde kein wirklich Erfolg, erst recht kein weltweiter. „Love Junkies“ war dann der erste Schritt zurück ins aufrechte Indieleben, „Songs for the Exhausted“ soll nun weniger ein erschöpftes Ende als der Versuch eines ehrlichen Neuanfangs sein. Ein bisschen ist der Titel als Reminiszenz an Leonard Cohen und sein großes Werk „Songs for love and hate“ zu verstehen, „Cohen ist der beste überhaupt“, findet Welter, „der Mann, die Stimme, die Texte, das ist einfach unglaublich.“ Aber: „Die Erschöpfung ist schon auch wörtlich zu verstehen. Als wir da so saßen und überlegten, ob wir nun endlich mal in die Rentenkasse einzahlen und anständige Jobs suchen sollten und uns dann dagegen entschieden, machten wir genau aus dieser Befindlichkeit heraus das Album. Du musst gar nicht wirklich von richtig harten Schicksalsschlägen gebeutelt werden, um ermattet und desillusioniert zu werden. Der tagtägliche zermürbende Alltag reicht völlig aus, um diesen Zustand zu erreichen.“ Wenn es einem so geht wie Oliver Welter, der zu Beginn der Plattenarbeit von seiner Freundin vor die Tür gesetzt wurde („Wir hatten uns schon länger nichts mehr zu sagen, und irgendwann sagte sie dann wieder was, nämlich ‚Du kannst jetzt auch eigentlich gehen’“), dann sollte man kein „Mega-Uplifting-Hurra-Album“ erwarten. Ist „Songs for the Exhausted“ auch keineswegs geworden. „Ich gebe zu, wir wollten den Zustand des Niedergeschlagenseins auch gern noch ein wenig ausleben, hörten während der Songschreibphase auch absichtlich nur traurige Musik, drehten den Fernseher auf und warteten, dass uns der Irrsinn, der einem da entgegenkommt, erschlägt.“ Das Programm ist nicht besser geworden, findet Oliver, die schlimmsten Orwell’schen Zukunftsvisionen seien eingetreten und mit den „meisten Leuten auf der Straße kann man nicht mehr normal reden, weil die alle ganz komische Interessen und Ansichten haben“, aber immerhin hat sich seine persönliche Situation deutlich ins Positive verändert. „Nach dem Rausschmiss war ich überrascht, dass meine Sachen alle in einen kleinen Koffer passten. Danach lebte ich das klassische Singer/Songwriter-Schicksal, schlief ein Jahr bei Freunden auf den Sofas, was nicht einfach war und zur Erschöpfung beitrug.“ Keyboarder Stefan hatte es derweil auch nicht leicht und schlief ein halbes Jahr in Herwigs Studio, aber nun hat nicht nur die Liebe an des Barden Tür geklopft, die neue Freundin schenkte Oliver vor einem Jahr auch gleich ein kleines Töchterchen. „Das hat mir sehr gut getan. Zum ersten Mal im Leben ist dieser auf mich selbst gerichtete Fokus kleiner geworden, weil es nun einen Menschen gibt, für den ich dasein muss und auch will. Dein Egoismus relativiert sich, wenn du nächstens raus musst, weil die Kleine Hunger hat.“

Auf „Songs for the Exhausted“ findet sich freilich noch nichts vom neuen Familienglück, das Album ist ja schon Ende 2002. fertiggestellt worden. Stattdessen überwiegt hier klar die Melancholie, das Depressive, das Getragene. Startet die Platte mit „God“ und den Zeilen über den Jungen, der sich selbst so furchtbar ernst nahm, noch vergleichsweise temporeich, so konzentrieren sich Naked Lunch im überwiegenden Rest des Albums auf eher elegischen Trauerarbeits- und Schicksalsbewältigungsrock, was sowohl sehr schön, gleichsam auf Dauer auch etwas anstrengend zum Zuhören sein kann, zentraler Song ist das sehr sparsam betextete „Lost it all“. In welchem Zustand soll man die Platte hören, Oliver? „In keinem suizidalen!“. Als er „Lost it all“ einsang, im Studio von Herwig und unter Aufsicht des langjährigen Produzenten Olaf Opal, der unentgeltlich gearbeitet hat und sich über die Jahre dermaßen verdient machzte um Naked Lunch, dass er jetzt offiziell in den Status des Bandmitglieds erhoben wurde, da sei er doch recht besoffen gewesen. „Wobei ich jedoch nicht der Meinung bin, dass man besoffen sein MUSS, um tolle Alben aufzunehmen..“ Kann man die Erschöpftensongs als Deprialbum bezeichnen? Während man so als Hörer eher zum „Ja“ tendiert, neigt man als Macher eher dazu, „diese Bezeichnung als zu hart“, zu empfinden. „Das ginge mir schon deshalb zu weit, als dass ich diesen Ausdruck generell nicht mag. Es verträgt sich mit den Liedern schon sehr gut, sie alleine zu hören und nicht unbedingt im Zusammenhang mit einer Party, es sei denn, man will die Leute endlich loswerden. Aber sich einfach mal hinsetzen, mit einem Glas Rotwein und einem Joint oder auch ohne, und Musik hören, das ist der Idealzustand, der diesen Liedern am besten gerecht wird. Aus vielen der Songs tropfen die Schlagwörter unserer Zeit, vor allem die Einsamkeit und die Vereinsamung der Menschen geradezu heraus. Von daher fänd ich es am schönsten, wenn man die Platte als Soulbluesrock oder so sehen könnte.“ Mit Hank Williams habe sich Oliver eingehend beschäftigt und dabei die Angst vor der Peinlichkeit verloren, Sätze zu singen wie „I am so lonesome, I could die“. „Man kann sowas sogar aufs T-Shirt drucken.“ Ist gar geplant. Spätestens zur Tour, die auf jeden Fall stattfinden, sich aber nicht mehr im „kleinsten evangelischen Pfarrjugendheim“ abspielen soll, da sowohl Olli als auch Herwig nun Jungfamilienväter sind, wird es das Leibchen mit der Aufschrift „Lost it all“ geben. Und das nächste Naked Lunch-Album, verspricht der Frontmann, wird eine Punkplatte.

Steffen Rüth

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