Neil Young & Crazy Horse: „Colorado“
„Colorado“ ist nach sieben Jahren das erste Album von Neil Young mit Crazy Horse. Ein Testament an das Potenzial, das Young auch nach 50 Jahren noch hat.
Mein Gitarrenlehrer war – wie eigentlich alle – ein großer Fan von Neil Young. Dementsprechend habe ich die typischen Stadien der Neil-Young-Rezeption ziemlich rasant durchgemacht: Zunächst gezwungenermaßen gut gefunden, dann gelangweilt, schließlich doch irgendwie für interessant befunden – zumindest interessanter als die anderen 60s-Typen. Das ist dann auch das finale Stadium einer durch Gitarrenunterricht vorbelasteten Neil-Young-Rezeption: ein stetiges Relativieren in beide Richtungen.
„Colorado“ ist Neil Youngs erstes Album mit Crazy Horse seit 2012 – aber was heißt das schon. Es ist ja nicht so, dass es sich hier um die heiß ersehnte Aussöhnung einer zerstrittenen Band handelt. Solo oder nicht: Neil Young spielt eh in einer anderen Liga als Crosby, Stills und Nash, von denen ich nicht einmal sagen könnte, ob sie noch leben. Von ihren letzten Veröffentlichungen ganz zu schweigen.
Und zunächst muss man wohlwollend anerkennen, dass „Colorado“ einen Sound präsentiert, der so auch von einer ganz spannenden aktuellen Garage-Band stammen könnte. Das muss man mit 74 erst mal schaffen, wo die meisten „Rocker“ nur noch langweilen. Neil Young und Crazy Horse klingen dagegen ungeschliffen und roh und zwar nicht bemüht, sondern wirklich.
Was sie den Revival-Bands voraus haben, ist die Tatsache, dass Youngs gnadenlos alte Stimme in ihrem rumpelnden Rock einen interessanten Lichtpunkt bietet. In den laut überbordenden Momenten wie dem brutal dahinstapfenden „She showed me Love“ verschwindet Neil Young sogar beinahe. Er stemmt sich spürbar gegen den Sturm, ist aber uneitel genug, um diese Momente der Schwäche zuzulassen – auch wenn dem 13-minütigen „She showed me Love“ spätestens nach der Hälfte des Tracks die Puste ausgeht. Besser gelingen Young und Crazy Horse die ruhigen Folkrockmomente wie „Milky Way“ und „Eternity“, oder die kürzeren Rockstücke „Olden Days“ und „Help me lose my Mind“.
Den Meisten wird „Colorado“ mit Recht am Arsch vorbeigehen. Aber alle, die mit Neil Young biografisch verbunden sind – oder jene, die bei jenen Gitarrenunterricht hatten –, können ebenso berechtigt wieder ein paar Mal „Ja, aber“ einwerfen. Die Möglichkeit eines letzten wirklich großen Albums möchte man ihm auch mit 74 nicht absprechen. „Colorado“ ist es nicht, aber es hat immerhin „I do“, das im Notfall sein letzter richtig großer Song sein könnte. jl