Ottessa Moshfegh: McGlue
Mit der Sauferei ist das so eine Sache: Erst kommt der Durst, dann der Spaß, und bald ist es doch wieder der berüchtigte Drink zuviel. Natürlich verflucht man am nächsten Morgen den dicken Kopf und erinnert sich an vieles nicht mehr. Auch Seemann McGlue kann 1851 ein Lied davon singen. Gewohnt, den Geschmack der salzigen Seeluft mit ordentlich Rum, Gin oder Grog aus der Kehle zu vertreiben, erwacht er eines Tages mit einem gewaltigen Brummschädel, der nicht nur von seiner schweren Kopfverletzung herrührt. Gesoffen hat er – wieder einmal – und zwar tüchtig. Jetzt sitzt er im Gefängnis und soll angeklagt werden, weil er Johnson umgebracht haben soll. Ausgerechnet Johnson, der doch sein Freund ist. Der, der ihm das Leben gerettet und zur See gebracht hat und mit dem er seitdem gemeinsam um die Welt segelt. Da möchte McGlue gleich weiter saufen, diesen Alptraum vergessen. Jetzt soll er sich aber erinnern, gestehen. Der Kopf wie in einem Schraubstock gepresst – wie soll er da wissen, was war, was ist? Seinen Gedanken schwanken zwischen Gegenwart und Vergangenheit. McGlue wird verhört, immer wieder muss er sein Hirn martern. In seiner Gefangenschaft verliert er sich in Halluzinationen, hat Tagträume in denen er von Johnson besucht und bedrängt wird: Was ist Realität? Was nur Fantasie? Ottessa Moshfegh hält uns mit ihrer ersten Novelle in McGlues schwerem Kopf gefangen. Durch die lyrische Prosa des inneren Monologs muss der Leser selbst die Spur der Wahrheit finden. Moshfegh verwickelt ihn mit ihrer Seemannsschnurre in eine Reflexion über Wahrnehmung, Wahnsinn, Freundschaft und Schuld: der ungewöhnlichste Who-done-it-Krimi seit langem. Die 1981 mit kroatisch-persischer Abstammung in Boston geborene Moshfegh kann man damit getrost zu den hoffnungsvollsten jungen Autoren zählen. Ach ja: Am Ende erfährt man tatsächlich, was mit dem mysteriösen Johnson passiert ist – falls man beim Lesen nicht mal wieder zu tief ins Glas geguckt hat.