Radu Mihaileanu
Darf man sich über den Holocaust amüsieren? Der Jude Radu Mihaileanu ist dieses Risiko mit seinem Film „Zug des Lebens“ (seit 30. 3. im Kino) eingegangen. Als jüdische Dorfbewohner in einem Deportationszug vor den Nazis fliehen wollen, geraten sie in allerlei komisch-groteske Situationen. Das city.mag traf den französischen Regisseur rumänischer Herkunft in Hamburg.
city.mag: Herr Mihaileanu, Ihrem ernsten Thema haben Sie sich mit viel Witz genähert. Spiegelt Ihr Streifen den jüdischen Humor wider?
Mihaileanu: Ja. Wir Juden machen uns meistens mit einem zärtlichen Augenzwinkern über uns selbst lustig. Selbstironie und Melancholie haben unseren Humor geprägt. Meine Familiengeschichte hat mich zu diesem Film inspiriert. Mein Vater wurde in einem kleinen Stetl in Moldavien geboren. Als er Jahre später dorthin zurückkehren wollte, gab es das Dorf nicht mehr. Das gleiche Schicksal ist vielen anderen Stetln auch widerfahren. Sie wurden ebenso wie die jüdische Sprache ausgemerzt. Das hat mich schockiert. Mit meinem Film wollte ich die Zivilisation meines Volkes wiedererschaffen.
city.mag: Kann ein Holocaust-Überlebender über Ihren Film lachen?
Mihaileanu: Zunächst habe ich „Zug des Lebens“ Holocaust-Überlebenden gezeigt. Die meisten hat mein Witz amüsiert, einige waren allerdings auch entsetzt. Sie sagten, ich habe nicht das Recht, so einen Film zu drehen. Diese Kritik verstehe ich durchaus. Aber letztlich hat nicht die Kunst die Unmenschlichkeit begangen, sondern die Diktatoren.
city.mag: Wie in Chaplins Film „Der große Diktator“ weiß man bei Ihrem Streifen nicht, ob man lachen oder weinen soll.
Mihaileanu: „Zug des Lebens“ ist gleichzeitig Komödie und Tragödie. Auch wenn es lustige Szenen gibt, wissen alle, dass die Juden jeden Moment sterben könnten. Das ist der Wahnsinn des Lebens.
city.mag: Für mich hat Ihre Geschichte aber eher märchenhafte Züge.
Mihaileanu: Stimmt. Ich wollte keinen realistischen Film drehen. Mein Protagonist Schlomo träumt sich im Konzentrationslager in eine Fantasiewelt hinein, die ihn am Leben erhält. Genau so war es für uns Rumänen auch während der Ceaucescu-Diktatur. Uns blieben auch nur unsere Träume.
Interview: Dagmar Leischow