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Rildo Hora

Kick durch Choro

Anfang des letzten Jahrhunderts entstand in Brasilien eine Instrumentalmusik, die seither auf jedem Dorffest, in Kneipen und als Hausmusik gespielt wird: Choro, der quirlige Vorläufer des Samba. Auf dem Album „Café Brasil“ spielen Musiker wie Paulino da Viola oder João Bosco den urigen, von Akustikgitarren geprägten Choro so locker und lässig, dass er – anders als Samba – kein bisschen nach Schweiß riecht. kulturnews sprach mit dem Macher des Albums, der Produzentenlegende Rildo Hora.

kulturnews: Herr Hora, Sie gelten als einer der besten Harmonikaspieler der Welt. Wo rangieren Sie denn genau …?

Hora: Zunächst möchte ich gern ein paar andere Größen nennen, die ich höher einschätze als mich: Tommy Reilly zum Beispiel oder der unvergessliche Larry Adler. Für mich aber ist der Beste von allen Toots Thielemanns. Ich bin ja nur ein Leierkasten-Spieler aus Caruaru im Nordosten Brasiliens. Vermutlich erhielt ich nur deswegen so viel Aufmerksamkeit, weil ich mich auf brasilianische Rhythmen spezialisiert habe.

kulturnews: Sehr bescheiden … Dabei sind Sie auch als Produzent sehr erfolgreich; ihr neues Projekt konfrontiert die Welt mit dem Choro. Der Stil ist sehr gefühlvoll, lebensfroh und jazzig, aber nicht so partytauglich wie Samba. Meinen Sie, Choro kann selbst Menschen in Deutschland begeistern?

Hora: Das Projekt stand jedenfalls von Anfang an unter einem guten Stern. Dirk Lange vom deutschen Teldec-Label hat es sogar angestoßen. Aber stimmt, es ist logisch, Choro mit Samba zu vergleichen, denn beide werden im 2/4-Takt gespielt. Der Samba wird aber mehr mit Tanzen assoziiert, was sicher mit dem internationalen Ruf der Karnevalsvariante zu tun hat. Eins ist jedenfalls sicher: Auch Choro verschafft dir den richtigen Kick! Und das wird passieren, weltweit.

kulturnews: Einige Songs auf „Café Brasil“ scheinen sogar von slawischen und jiddischen Folkstilen inspiriert zu sein, andere vom Ragtime. Wie kann das sein?

Hora: Das ist überall auf der Welt nicht ungewöhnlich bei populärer Musik. Mit den Speichermedien, durch Filme oder Soundtracks verbreiten sich die Melodien und sinken ins Unterbewusstsein. So kann es sein, dass ein chinesischer Komponist ein Lied schreibt, das irgendwie brasilianisch klingt. Dennoch: Choro ist ein ein rein brasilianischer Stil, der halt beeinflusst ist von anderen Musikarten. Nehmen wir Bossa Nova: Da steckt viel Jazz drin, aber wenn du ihn hörst, ist es eindeutig Bossa Nova.

kulturnews: Brasiliens Musikkultur ist ungeheuer reich, vielleicht die reichste weltweit. Wie kommt das bloß?

Hora: Das hat damit zu tun, dass Brasilien ein Land der Ausländer ist. Unser Erbe ist vielfältig, ist durch und durch beeinflusst von jenen, die auf den portugiesischen Segelschiffen kamen, und jenen, die später dazu stießen. Diese Kreuzungs- und Mestizenkultur ist echt einmalig.

Interview: Matthias Wagner

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