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Roman Polánskis „Intrige“: Lässt sich die Person vom Werk trennen?

Roman Polánski hat mit „Intrige“ einen großartigen Film über die Dreyfus-Affäre gedreht. Aber sollte man ihn gucken, wo der Regisseur doch immer noch ein flüchtiger Angeklagter in einem Vergewaltigungsprozess ist? 

Die große Frage lautet: Kann man den Mann vom Kunstwerk trennen, wenn der Mann sich sexueller Belästigung schuldig gemacht hat oder ihrer beschuldigt wird? Eine seit der #MeToo-Bewegung vieldiskutierte Frage, im Kino vor allem anhand der Altmeister Woody Allen und Roman Polánski. Polánski droht weiterhin der Prozess in den USA für Sex mit einer Minderjährigen im Jahr 1977; „Intrige“ wurde beim Filmfest in Venedig von massiven Protesten und Boykottaufrufen begleitet. Dass der 86-Jährige nun ausgerechnet einen Film über die legendäre Affäre Dreyfus gedreht hat, hat für viele ein Geschmäckle: Alfred Dreyfus wurde 1894 aus antisemitischen Gründen mit rechtswidrigen Beweisen der Spionage und des Landesverrats für schuldig befunden und auf die Teufelsinsel verbannt. Dreyfus war unschuldig – doch die antisemitische Hetzpresse, der aufgestachelte Pöbel und das Militär selber verhinderten seine Rehabilitation bis 1899. Polánski hat in Interviews erklärt, dass er Parallelen zwischen dem historischen Fall und seinem eigenen Fall sieht – das muss man nicht mögen, aber Polánski ist auch kein Idiot, der sich mit einem ultimativ zu Unrecht Verfolgten gleichsetzt.

Der Fall Dreyfus – eine „Intrige“ von rechts

Denn der Jude Polánski, der den Holocaust nur knapp überlebte, hat noch weitere Gründe, den Dreyfus-Fall zu verfilmen: Antisemitismus, Militarismus, Fake News, Verschwörungstheorien, Whistleblower – das alles sind auch Themen unserer Zeit. Polánski arbeitet sie nüchtern, entschleunigt, ohne Effekthascherei und mit einem atemberaubendem Sinn fürs Detail auf. Marie-Georges Picquart, Leiter des französischen Auslandsnachrichtendienstes, stößt auf Ungereimtheiten im Fall Dreyfus – und entscheidet sich gegen Kadavergehorsam und für die Pflicht, ergo: die Wahrheit. Obwohl er selber Antisemit ist … Hauptdarsteller Jean Dujardin („The Artist“) versinnbildlicht den mühsamen Weg des Gerechten zu der von Chauvinisten verbogenen und verborgenen schrecklichen Wahrheit mit ständiger Mobilität: Er geht unzählige Treppen hoch und wieder runter, öffnet und schließt zahllose Türen, läuft von rechts nach links und dann wieder von links nach rechts durchs Bild, setzt sich hin, steht auf, geht durch den Raum, und dann ist da meist immer wieder eine Tür. Die Anfänge der Forensik und der modernen Geheimdienstarbeit sind zu sehen, wenn abgefangene Briefe neu zusammengesetzt, Schriften verglichen, Fälschungen enttarnt, Wohnungen mit menschlichen Ohren „verwanzt“ werden.

Polánski: Mann oder Kunstwerk?

Der Ausgang der Affäre Dreyfus ist bekannt: Sie spaltete das ganze Land, ein nationales Trauma. Was die aktuellen Bezüge betrifft, so sagt Polánski: Ein Aufstand der Aufrechten muss stattfinden, sonst gewinnen die Rechten. Was die Polanski-Bezüge betrifft und die Frage, ob man dem Mann von seiner Kunst trennen kann: Man muss. Ein Film wie „Intrige“ darf der Welt nicht vorenthalten werden. Sie braucht ihn, um sich selber zu verstehen. vs

„Intrige“ kommt am 6. Februar ins Kino.

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