Rosalías „LUX“: Von Gnade, Erleuchtung und Erlösung
Zwischen Oper, Techno und Flamenco sucht die katalanische Avantgarde-Pop-Künstlerin Rosalía auf „LUX“ nach dem Licht und verwandelt Pop in ein religiöses, sinnliches Erlebnis.
Rosalía hat schon immer Kunst gemacht, die groß und ambitioniert ist, doch mit ihrem vierten Studioalbum „LUX“ wird sie noch furchtloser. Nach dem Grammy-prämierten „Motomami“, mit dem sie Pop in Hochgeschwindigkeit dekonstruiert und Flamenco wie Reggaeton massentauglich gemacht hat, wagt sich die in Barcelona geborene Künstlerin nun in ein Terrain, in dem Pop selten existiert, irgendwo zwischen Opernhaus, Kathedrale und Klub. Im heiligen Pop-Manifesto finden sich 14 Songs, 13 Sprachen und ein Ziel: die Erleuchtung.
Der Kreislauf der Wiederauferstehung
Schon der Opener „Sexo, Violencia y Llantas“ klingt wie ein Gebet: ein einsames Klavier, dann Violinen, dann dieser heroische Chor, der sich wie Licht über den Beat legt. Es ist der Beginn einer spirituellen Reise, auf der Rosalía versucht, gleichzeitig Himmel und Erde zu bewohnen. „First I’ll love the world, then I’ll love God“, singt sie und markiert damit die Achse des Albums, das Göttliche im Irdischen zu finden. „Reliquia“ schließt nahtlos an, wie eine Seite, die umgeblättert wird. Streicher gleiten durch den Song, Rosalía zählt Orte auf wie Erinnerungen. Es ist ein Verlustlied, das sich am Ende in elektrischem Rauschen auflöst, das akustische Symbol für Abschied und Neubeginn.
Mit „Divinize“ kommt das Herzstück: treibender Beat, engelsklare High Notes, ein Wechsel zwischen Englisch und Katalanisch. „I was made to divinize“, singt sie, und man glaubt ihr jedes Wort. Hier findet die 33-Jährige ihre Formel: Spiritualität durch Verwundbarkeit, Stärke durch Hingabe. „Porcelana“ bringt die Energie von „Motomami“ zurück. Dunkle Beats wabern über die Kopfhörer, Flamenco-Klatschen trifft auf Bläser, bis der Song sich mit Bass und Beats verdichtet und so zu Aufstieg und Absturz zugleich wird.
„Mio Cristo piange Diamanti“ (italienisch: „Mein Christus weint Diamanten“) ist dagegen pure Oper. Zerbrechlich und wunderschön verwandelt Rosalía Liebeskummer in ein sakrales Drama und fragt, wie viel Schmerz eigentlich göttlich ist und wie viel schlicht menschlich. Im Kontrast zur italienischen Emotions-Oper steht „Berghain“, ein Feature mit Björk und Yves Tumor. Eine techno-religiöse Explosion, halb Gebet, halb Rave und voll präszise komponiertem Chaos. Dass Rosalía hier selbst mitkomponiert und -produziert hat, ist ein Kunststück für sich. Es erinnert an ihre klassische Gesangsausbildung und zeigt ihre virtuose Kontrolle des Chaos und ihre Lust, Pop zu sprengen, statt ihn nur zu bedienen. Wer sonst außer ihr könnte den berühmtesten Techno-Tempel der Welt in eine Oper verwandeln?
„La Perla“ tanzt sich im 3/4-Takt mit Yahritza Y Su Esencia durch toxische Liebe und Männlichkeit, im Duett besingen sie sarkastisch „emotionale Terroristen“ und „nationale Herzensbrecher“. Auf „La Rumba del Perdón“ singt die Katalanin mit Flamenco-Ikonen Estrella Morente und Silvia Pérez Cruz über Verrat, Schmerz und die Kraft des Loslassens, denn wahre Selbstermächtigung liegt in der Vergebung. Zum Ende hin wird „LUX“ leiser und intimer. „Magnolias“ schließt das Album mit einer himmlischen Orgel und einem Satz, der hängen bleibt: „Ich komme von den Sternen, heute werde ich zu Staub, um zu ihnen zurückzukehren.“ Es ist ein Ende, das sich nicht wie ein Abschied, sondern wie Erlösung anfühlt. Rosalía schließt damit den Kreis der Wiederauferstehung.
Ein heiliges Pop-Manifest
„LUX“ ist keine einfache Platte. Sie verlangt Geduld, Neugier und am besten gute Kopfhörer. Doch wer bleibt, wird belohnt mit einem Werk, das größer ist als Pop, aber nie den Kontakt dazu verliert. Rosalía zeigt, dass Pop mehr kann, als oft gedacht wird. Das Genre wird gern in eine große Schublade gesteckt, verallgemeinert und manchmal belächelt. Doch Künstler:innen, die sich trauen, Grenzen zu sprengen, eigene Klangwelten zu erschaffen und konventionelle Regeln hinter sich zu lassen, schaffen genau das, was Pop eigentlich immer sein sollte: relevant, überraschend, einzigartig. „LUX“ ist der Beweis, dass man mit einem radikal eigenen Sound Erfolg haben kann, egal wie unkonventionell, komplex oder sperrig er auf den ersten Blick wirkt.