Russell Banks: Verstoßen
Zweimal bereits war Russell Banks unter den Finalisten für den Pulitzer Prize vertreten: 1986 mit „Gegenströmung“ und 1999 mit „John Brown, mein Vater“, beides Romane, die sich mit dem Thema Rassismus auseinandersetzten. In „Verstoßen“ rückt der US-Amerikaner erneut eine systemische Ausgrenzung in den Fokus, deren harrsche Unverhandelbarkeit er zunächst anschaulich zu schildern vermag. Wohl sei bemerkt, dass die gesellschaftliche Ächtung verurteilter Sexualstraftäter sich in ihrer Rechtfertigungsstruktur grundlegend von einer rassistischen Tradition unterscheidet, haben erstere sich doch schuldig gemacht, einerseits juristisch gesehen, andererseits, und dies scheint umso schwerer zu wiegen, nach allgemeinen Moralvorstellungen, nicht nur, aber insbesondere hinsichtlich sexueller Gesinnung und Entartung.
Doch eben unter dem Schuldaspekt betrachtet, bietet Banks’ Setting spannende Ansatzpunkte: Sein Protagonist, ein 21-Jähriger, der nur The Kid genannt wird, hat eine mehrmonatige Haftstrafe bereits abgegolten, steht allerdings weitere zehn Jahre unter Bewährung sowie unter durch eine elektronische Fußfessel gesicherter Beobachtung. Das Problem, das Kid sich mit den für ähnliche Verbrechen Verurteilten teilt, ist, dass sie jegliche Orte, an denen sie mit Kindern in Kontakt geraten könnten, gesetzlich zu meiden verpflichtet sind – was die Orte, an denen sie sich aufhalten können, auf wenige Plätze in der Stadt reduziert, zumal die öffentlich einsehbaren Karteien über verurteilte Sexualstraftäter es quasi unmöglich machen, eine Wohnung zu finden. Also hausen Kid und seine unfreiwllig gewählte Peergroup unter einer Autobahnbrücke: in Zelten oder selbstgezimmerten Baracken, zwischen Lärm und Müll, am buchstäblichen Rande der Gesellschaft.
Was Banks bedauerlicherweise kaum gelingt: die moralischen Hohlräume zwischen Gesetz und Ethik dringlich auszuleuchten. Etwa ab Mitte des Romans gewinnt man den Eindruck, der 75-jährige Autor hätte das Interesse an seinem Sujet verloren. Wenn eine neue Figur ins Zentrum des Romans vordringt, um die sich eine eigene, seltsam und ziellos kriminalistisch anmutende Lebensgeschichte rankt, wirkt das kompensierend, und auch Banks’ Neigung zu listenartigen Beschreibungen trägt nicht gerade zur Verdichtung seines – ursprünglichen – Stoffes bei. „Verstoßen“ beginnt als ambitioniertes, in der sozialen Peripherie verortetes Soziogramm, stolpert dann aber über seinen eigenen Anspruch in eine Romanhandlung hinein, die mehr auf Spannung als auf Erkenntnis setzt. Das macht das Buch nicht unbedingt schlecht, hinterlässt aber gleichwohl das Gefühl verschenkten Potenzials.